: Von der IRA-Hochburg zur blühenden Sommerfrische Von Ralf Sotscheck
Der IRA-Waffenstillstand ist ja schön und gut. Was soll aber jetzt aus den Menschen in den Krisengebieten werden? Schließlich gehörte der Revolutionstourismus zu ihren wichtigsten Einnahmequellen. Im vergangenen Jahr besuchten rund 350.000 Menschen die nordirische Hauptstadt – fast so viele, wie Belfast Einwohner hat. Die meisten hatten sich bei Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, einen Stadtplan besorgt, auf dem die Brennpunkte des Konflikts markiert waren. Das nordirische Fremdenverkehrsamt war dagegen stets bemüht, den Ruf als Kriegsgebiet loszuwerden, weil man lieber zahlungskräftigere Gäste anlocken wollte.
Die südirischen Kollegen haben es vorgemacht: Ihnen ist es gelungen, die Zahl der BesucherInnen in diesem Jahr um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu steigern. Da die Gäste nicht mit Sonne und Strand auf die Insel zu locken sind, hat die Tourismusindustrie das kulturelle und historische Erbe zum Angelpunkt ihrer Taktik gemacht. Das Problem ist jedoch, daß Irlands Geschichte furchtbar kompliziert ist und von Invasionen, fehlgeschlagenen Aufständen und blutigen Schlachten nur so strotzt. Deshalb muß das Erbe in leichtverdaulichen Häppchen verabreicht werden – man unterteilte es in fünf Schubladen: Landschaft, den Kampf ums tägliche Brot, Religion, Streben nach Unabhängigkeit und die „irische Seele“. Nur solche Projekte, die in dieses Schema hineinpassen, werden staatlich gefördert.
Könnte man dem britischen Premierminister John Major und Nordirlands Protestanten das Zugeständnis abringen, den Konflikt als „Streben nach Unabhängigkeit“ einzustufen, so würden weite Teile Nordirlands in das Schubladenschema passen – Crossmaglen zum Beispiel. Diese IRA-Hochburg, die des öfteren mit dem gallischen Dorf von Asterix verglichen wurde, könnte mit staatlicher Unterstützung zu einer blühenden Sommerfrische werden.
Um dieses Thema ging es auch am Freitag bei dem Treffen zwischen dem Generaldirektor des südirischen Fremdenverkehrsamts, Matt McNulty, und seinem nordirischen Amtskollegen Ian Henderson. Wie McNulty gegenüber der taz äußerte, soll Crossmaglen so bald wie möglich in einen Themenpark umgewandelt werden. Das riesige Armeefort, das den Marktplatz beherrscht, könnte aufgrund des hervorragenden Blicks auf die Umgebung mit geringem Aufwand zu einem Hotel der mittleren Preiskategorie umgebaut werden. „Eine Stadtrundfahrt im Sarazenenpanzer wäre im Pauschalpreis inbegriffen“, sagte McNulty. Gäste könnten sich gegen eine geringe Gebühr von ehemaligen Polizisten originalgetreu verhören lassen – unter ärztlicher Aufsicht, fügte McNulty hinzu. Er glaubt, daß die hohe Arbeitslosigkeit der Region drastisch sinken würde: „Laienschauspieler könnten die Todesschußpolitik der britischen Sondereinheit SAS inszenieren, und zu jeder vollen Stunde würden IRA-Heckenschützen mit Platzpatronen von den Dächern schießen.“
Major hat sich zu den Vorschlägen bisher noch nicht geäußert. Sein Pressesprecher sagte jedoch, der Premierminister habe sich erkundigt, ob sich die Pläne in leicht veränderter Form auf den Buckingham-Palast und seine BewohnerInnen anwenden ließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen