■ Normalzeit: Kiezleben in Friedrichshain
An manchen Stellen der Ost- Stadt bekommt man einen Eindruck, wie nicht-gewestete Medien funktionieren (können). In einem kleinen Laden in der Kadinerstraße, Friedrichshain, beendete neulich ein Kunde das Gespräch mit der Bemerkung: „Das muß ich unbedingt Kuttner durchgeben.“ Kuttner ist Moderator einer ORB-TV-Sendung sowie beim Radiosender „Fritz!“.
Und die Kadinerstraße ist diesbezüglich überhaupt ein merkwürdiger Kiez: Aus einem geöffneten Fenster trällert jemand das Lied „Arbeitslose Mandy“: ein Gedicht von „Dusty“ (Stefan Schwarz) aus seinem Buch „Der Dalai Laima“ (Elefantenpress). Dusty arbeitet als markiger Brandenburg-Reporter für die ORB- Sendungen „Chaos“, „Fritz“ und „Kuttner“ und ist mit seinem Buch, das unlängst in der Kadiner-Kiezkneipe „Jail-Break“ vorgestellt wurde, zum dortigen Heimatdichter geworden. Seine Mutter arbeitet im übrigen an Ähnlichem in Erfurt.
Im „Jail-Break“ spricht gelegentlich Gerhard Fuchs-Kittowski Dustys Texte fürs Radio – wahlweise auf Wienerisch oder mit Heinz-Rühmann-Stimme. Ein sympathisch-heruntergekommener Suffkopp guckt rein und fragt: „Hat jemand den Schriftsteller gesehen?“ Er meint natürlich Dusty, der schräg gegenüber wohnt. Gerhard Fuchs- Kittowski ist aber auch nicht ohne Witz: Er ist der Neffe des Atomphysikers Klaus Fuchs und der Urenkel des „Kirche im Sozialismus“-Vordenkers Emil Fuchs, dessen Söhne und Töchter wiederum fast sämtlichst in einer illegalen antifaschistischen Widerstandsgruppe tätig waren, die von Klaus Gysi geleitet wurde, dem Vater von Gregor Gysi. Die Geschwistergruppe betrieb einen Auto-Fahr-und-Verleih-Dienst (neudeutsch: Service).
Gerhard Fuchs-Kittowski, den man wegen seiner zu bürgerlichen Anschauungen einst von der Humboldt-Universität relegiert hatte, bearbeitet heute jüdische Restitutionsansprüche, die er – im besten Falle und wenn es sich dabei um Immobilien handelt – auch gleich noch „developed“. Das Netz seiner Mandanten entwickelte sich mit der Wende aus Fuchs-Kittowskis familiären Beziehungen und umfaßt heute über 1.800 Restituenten. Schon ist Gerhard Besitzer zweier Häuser in der Dimitroffstraße. Eine Weile lang beriet er einige Musiker bei der Privatisierung „ihrer“ Kulturbrauerei. „Mein Humor ist ein anderer als der von Dusty“, meint Fuchs-Kittowski, der trotzdem gerne dessen Texte fürs Radio spricht. Beider Großeltern hatten im übrigen mal in der Arbeiterbewegung miteinander zu tun. Und Dustys Mutter beschäftigt sich heute ebenfalls mit jüdischen Restitutionen, als Heimatforscherin jedoch. Zurück zur Kadinerstraße: Dort treffen sich also Freund und Feind von einst und via ORB entsteht daraus Literatur, die direkt im „Jail- Break“ eingelesen wird. Quod erat demonstrandum. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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