: Die einstige Opposition ist polarisiert
Das Kreuz mit dem Kreuz: taz-Reihe zum Bundestagswahlkampf in Berlin / Nach dem Wahldebakel in Sachsen und Brandenburg befürchtet das Bündnis 90 auch in Ostberlin einen Einbruch ■ Von Uwe Rada
Ganz hinten, am Ende eines langen Flures, liegt die Geschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen im „Haus der Demokratie“. Ein einziger Mitarbeiter hält die Stellung in der Friedrichstraße. Er ist aus dem Westen. Schnelle Antworten auf das Wahldebakel in Brandenburg und Sachsen hat er dennoch nicht parat. Eher Vermutungen: „Vielleicht liegt es daran, daß man die Bündnisgrünen nur noch als potentiellen Regierungspartner sieht, als alternativen Mehrheitsbeschaffer.“ Doch dann schüttelt er den Kopf. Die Partei hat ihn wieder: „Der eigentliche Grund für das Wahlergebnis“, sagt er, „war in Brandenburg die Zerstrittenheit nach außen und in beiden Ländern die fehlenden Strukturen innerhalb der Landesverbände.“
Man gibt Wahlkampf. Die einfachen Erklärungen haben Konjunktur. Auch bei den Bündnisgrünen. Ludger Volmer schilt den Blick nach hinten, Joschka Fischer bemüht die Einheit nach vorn. Doch der Schock, den der parlamentarische Knockout vom vergangenen Sonntag hinterlassen hat, sitzt tief. „Auch bei der Bundestagswahl“, meint Brigitte Engler, Bündnis-90-Vertreterin im Berliner Abgeordnetenhaus, „kann sich in Ostberlin ein solches Debakel wiederholen.“
Der als Ursache für die Niederlage seit Sonntag bemühte Hinweis auf DDR-Vergangenheit und Stasi-Debatten kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Themen die einzige Klammer sind, die die verschiedenen Strömungen der einstigen Bürgerbewegungen zusammenhält. Schon beim Verhältnis zur bundesrepublikanischen Gegenwart gehen die Meinungen, vier Jahre nach der Vereinigung und vier Wochen vor der Kanzlerwahl, weit auseinander. Die einstige Opposition ist polarisiert. Die in der Opposition „Gleichen“ sind nun, wie es der ostdeutsche Publizist Christoph Dieckmann bereits vor vier Jahren prophezeite, „so verschieden geworden, wie sie sind.“
Diejenigen aus der Bürgerbewegung, die sich nach der Wende zum Bündnis 90 zusammengeschlossen und schließlich zur Partei zusammengefunden haben, stehen auch in Ostberlin vor der Tatsache, daß eine Partei mit wenigen hundert Mitgliedern längst nicht mehr repräsentativ für die Protagonisten der Wende ist. Auch nicht für die politisch Aktiven von heute. „Es kommen immer wieder Leute mit Ideen in die Geschäftsstelle“, klagt der Mitarbeiter im „Haus der Demokratie“, „aber nur um zu fragen, wo sie sich engagieren können. Mit Parteipolitik wollen die nichts zu tun haben.“
Roland Baron vom Neuen Forum ist, wie viele der ehedem Bürgerbewegten, den Weg in ihre Partei nicht mitgegangen. Ein Grund war die Forderung, verbliebene Basisstrukturen zu stärken, ein anderer die bei „Demokratie Jetzt“ oder der „Initiative Frieden und Menschenrecht“ oftmals vertretene Politik. „Ein großer Teil der Bündnis-90-Politiker“, kritisiert Baron, „kommt aus einem wertkonservativen Spektrum und hat einen schnellen Frieden mit der Bundesrepublik geschlossen.“ Das Ergebnis: „Viele potentielle Wähler des Bündnis 90 wissen eigentlich gar nicht mehr, was die Partei sonst noch will, außer in Bonn und den Ländern mitzuregieren.“ Wer als Wähler hingegen auch oppositionelle Inhalte vertreten sehen wolle, meint Baron, „der wählt offensichtlich gleich das Original, die PDS“.
In Prenzlauer Berg, wo Baron vor allem wohnungspolitisch aktiv ist, hat man daraus bereits seit langem eine Lehre gezogen. Bei den letzten Bezirkswahlen trat dort nicht das Bündnis 90 an, sondern eine „Wählergemeinschaft Bündnis Prenzlauer Berg“, eine nicht nur bunte, sondern auch aktive Truppe von Unabhängigen, Mitgliedern des Neuen Forums und zahlreichen Bürgerinitiativen, deren Arbeit honoriert wurde. Während die PDS im Ostberliner Schnitt 30 Prozent erreichte, kam sie in Prenzlauer Berg nur auf 23 Prozent, die Wählergemeinschaft dagegen auf 18 Prozent. Eine bündnisgrüne Parteibasis dagegen ist so gut wie nicht vorhanden. Die Politik der Bürgerbewegungspartei wird nicht von unten gemacht, sondern von den Abgeordneten im Landtag und den Bezirksparlamenten. Während dort freilich ein Teil der Abgeordneten lediglich durch Anti-PDS-Reflexe und Jammerklagen über die totalitäre Linke auffällt, sind andere aus der ehemaligen DDR-Opposition längst auf Distanz gegangen.
Tina Krone, Mitarbeiterin im Robert-Havemann-Archiv der Bürgerbewegungen, erzählt vom jüngsten Treffen alter Oppositionsveteranen: „Fast jeder von denen“, sagt sie, „arbeitet jetzt in irgendeiner kleinen Initiative.“ Für Tina Krone zwar kein Patentrezept, aber ein Teil jener Suche, die gerade erst begonnen hat. „Die ehemaligen Oppositionellen“, sagt sie, „müßten sich zuallererst eingestehen, daß sie allesamt gescheitert sind.“
Auch für die Bündnis-90-Abgeordnete Brigitte Engler steht anderes im Vordergrund, als laut über Ministerposten nachzudenken. „Gerade soziale Themen, die im Osten eine Rolle spielen“, sagt sie, „stehen im Gegensatz zur PDS bei den Grünen ganz hinten.“ Ein Spagat, der für die ehemalige Sozialwissenschaftlerin und jetzige Sozialpolitikerin nicht immer einfach ist. „Auf der einen Seite sieht man, wie sehr Reformpolitik immer wieder auf ihre Grenzen stößt“, sagt sie, „auf der anderen Seite gibt es beim Bündnis 90 Leute, die sind überzeugte Marktwirtschaftler.“ Für Brigitte Engler ist das auch ein Ergebnis verfehlter Bündnispolitik: Das Bündnis 90 habe es nach der Wende nicht gewollt, auch die kritische Intelligenz der DDR einzubinden, nur weil viele von ihnen in der SED waren. „Statt dessen gab es immer wieder neue Strukturen, mit dem Ergebnis, daß viele Leute heute einfach verschlissen sind, oder sich, wie die Frauen, eigene Strukturen gesucht haben.“
Ein Ost-West-Konflikt, da ist sich Brigitte Engler sicher, sei diese Auseinandersetzung um die Politik der Bündnisgrünen allerdings nicht mehr. Auch für Roland Baron nicht: „Was die Grünen heute machen“, sagt er, „ist doch, daß sie die Rolle der SPD als sozialdemokratische Reformpartei eingenommen haben.“ Zwar bedauert auch Baron das schlechte Abschneiden der Bündnisgrünen, die Notwendigkeit einer breiten Oppositionsbewegung könne aber auch ein Bündnis 90 im Parlament nicht ersetzen, sagt er, „und auch nicht die PDS“.
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