: Notorische Flaute
Die Kunsthalle Rostock hat sich nach der Wende von Malerei auf Konzeptkunst und Objekte verlagert – gegen den Willen der Hansestädter ■ Von Ulrich Clewing
Die Kunsthalle Rostock ist eine der ersten Museumsneugründungen der DDR gewesen. Ihr Dasein verdankt sie der Kulturpolitik – im wörtlichen Sinn. Es sei notwendig, hieß es Mitte der sechziger Jahre, im Ostseeraum „ein sozialistisches Gegengewicht zur bereits fertiggestellten Kieler Kunsthalle, die die revanchistischen Ideen der westdeutschen Imperialisten durch Ausstellungen unterstützt, zu schaffen“. 1965 wurde in Rostock die erste Ostseebiennale feierlich eröffnet. Rund hundert Künstler aus den Anrainerstaaten Dänemark, Schweden, Finnland, der UdSSR, den beiden deutschen Staaten sowie aus Norwegen und Island waren mit ihren Werken vertreten. Und für die DDR symbolisierte die Hafenstadt Rostock mit einem Mal auch künstlerisch das Tor zur Welt. Vier Jahre später konnte die Biennale ihr eigenes Haus beziehen, die Kunsthalle am Schwanenweiher im Stadtteil Reutershagen.
Doch die Ostseebiennale war von Anfang an mehr als eine bloße Propagandaveranstaltung. Sie war für die Bürger der DDR eine der wenigen Gelegenheiten, internationale Kunst zu sehen, wenngleich die künstlerischen Experimente sich in einem engen Rahmen bewegten, im Keilrahmen der Malerei nämlich. Bis 1989 erlebte die Biennale dreizehn Auflagen, dann wurde der Zweijahresrhythmus unterbrochen.
Als 1992 die 14. Biennale mit einem Jahr Verspätung stattfinden sollte, war das Konzept der Vorzeigeinstitution komplett umgekrempelt. Annie Bardon, die neue Direktorin, die ein Jahr zuvor aus Nürnberg nach Rostock gekommen war, hatte die kleinteiligen Kabinette abgeschafft und die zwei Stockwerke der Kunsthalle vollständig leerräumen lassen.
Mit Norbert Weber, dem Eckernförder Nemo-Galeristen, war ein Gastkurator engagiert worden, der an Stelle der üblichen Hundertschaft nur insgesamt 19 Künstlerinnen und Künstler präsentierte. Und statt der gewohnten Öl-auf-Leinwand-Derivate gab es nun raumgreifende Installationen, Objekte und Konzeptkunst zu sehen. Das Publikum schien, glaubte man den Kommentaren im Besucherbuch, vom Donner gerührt.
Bestaubte Tücher im leeren Museum
Der Isländer Kristján Gudmundsson konfrontierte die Besucher mit seinen „Drawings“, gigantische Papierrollen mit obenauf plazierten Graphitblöcken, die eigentlich mehr die unendlichen Möglichkeiten einer Zeichnung meinten, als die Zeichnung selbst. Die in Berlin lebende Norwegerin Bente Stokke hängte ein mit Asche bestäubtes Tuch vor die komplette Wand und nannte das Ganze „The Ship“. Leonard Lapin aus Estland errichtete im zentralen Ausstellungsraum einen riesigen Schutthaufen aus Parteitagsprotokollen, Marx und Lenin-Ausgaben, um den herum er Hackstöcke und Äxte im Kreis aufstellte.
Eine der schönsten Arbeiten kam von dem Letten Valts Klein: eine Serie Kinderfotos, die er in Waisenhäusern aufgenommen hatte. Unter den Fotografien hatte Klein Platz gelassen, damit die Porträtierten darauf ihren „größten Wunsch“ niederschrieben. So krakelig die Schriftzüge, so eigentümlich würdevoll das Ensemble.
Die Rostocker jedoch reagierten auf die neuen Verhältnisse mit heftiger Ablehnung. Ein Sturm der Entrüstung hob an, lauter als bei den Pogromen von Lichtenhagen. Besonders die Werftcontainer, die Raphael Rheinsberg vor das Kröpeliner Tor gepflanzt hatte, gaben Passanten ausgiebig Anlaß für Kunstkritiken in Kurzform. Doch den Ärger der Rostocker (wie besonders feinfühlige Chronisten und übrigens auch der Künstler meinten) darauf zurückzuführen, daß „die eben noch nicht soweit“ seien, noch nicht erkennen könnten, daß die ausrangierten Werftcontainer sie an ihre dahinschwindende Existenzgrundlage erinnern sollten, war dann wohl ein bißchen überinterpretiert. Den Rostockern, wenigstens denen, die sich Gehör verschafften, war es wahrscheinlich wie überall einfach schade ums Geld.
Ihre besondere geographische Lage hat Rostock außer der Biennale noch ein anderes künstlerisches Unternehmen beschert: das Kunst-Raum-Schiff MS Stubnitz. Seit gut zwei Jahren arbeitet eine Gruppe aus zehn Medienkünstlern, Designern und Computerfachleuten auf dem umgebauten Hochseetrawler der abgewickelten DDR-Hochseefischereiflotte. Die meisten von ihnen kommen ursprünglich aus dem Umkreis der Künstlergruppe Radio Subcom aus Frankfurt am Main.
Das Kürzel der Entbehrlichkeit
In den ausgewaideten Kühlräumen finden regelmäßig Ausstellungen, Theateraufführungen, Performances und Konzerte statt. Ausgerüstet mit neuen Kommunikationstechniken, steht für die Betreiber der Vernetzungsgedanke im Vordergrund: Per Fax, Internet und Mailbox halten sie Kontakt zu Künstlern aus ganz Europa und den USA. Momentan liegt die über die Meere schippernde Hardware nach Aufenthalten in St. Petersburg und Malmö im Hamburger Hafen vor Anker.
Der nächste Schlag für die Kunsthalle kam ein paar Monate nach der Biennale, diesmal von seiten der Stadtverwaltung. Die Herren Senatoren (die einzige Frau im Rostocker Senat, die Kulturamtschefin und einsame Befürworterin der Kunsthalle Ulrike Oschwald, war gerade abgesägt worden) hielten das Museum angesichts der notorischen Flaute in der Stadtkasse kurzerhand für entbehrlich und fällten das Verdikt in Form des inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangten Kürzels „k.w.“: künftig wegfallend.
Wieder erklang ein Sturm der Empörung, nicht so stark wie der erste, aber immerhin. Zwar mußte die Kunsthallenchefin drastische Kürzungen ihre Etats hinnehmen, die Mitarbeiterzahl wurde von ehemals 34 auf 4 verringert, der Ankaufstetat gestrichen, die Mittel für Wechselausstellungen auf magere 75.000 Mark halbiert. Doch die Gefahr der Schließung war erst einmal überstanden. Die Rostocker allerdings haben seitdem ihren Ruf: Sie gelten feuilletonauf feuilletonab als kunstfeindliches Volk. Ein bißchen ungerecht ist das schon. Die Kunsthalle hat in den 25 Jahren seit ihrer Gründung eine umfangreiche Sammlung aufgebaut. Rund 500 Gemälde, 160 Skulpturen und 5.000 Graphiken sind heute in ihrem Besitz. Angekauft wurden die Werke zum Teil während der Biennalen, vor allem aber nach Atelierbesuchen in Dresden, Leipzig und Berlin. Allzu viele Entdeckungen ließen sich dort nicht machen: Anders als die Provinzmuseen in Cottbus und Frankfurt, die sich im Verborgenen Freiräume schaffen konnten und eine ganze Reihe von offiziell verschmähten Künstlern in ihre Sammlungen aufnahmen, galt dem Renommierprojekt Kunsthalle Rostock die ungeteilte Aufmerksamkeit der realsozialistischen Kulturwächter.
So ist es zu erklären, daß sich in der Rostocker Sammlung neben Malern wie Tübke oder Stelzmann nur wenige künstlerische Dissidenten finden. Einer davon ist Max Uhlig, ein anderer der verblüffend „moderne“ Willy Wolff. Dieser Sammlung war in der sogenannten Ostgalerie Platz für eine permanente Präsentation eingeräumt worden. Als Annie Bardon 1991 ihr Amt antrat, wanderten die Arbeiten ins Depot. Bemerkt hat das damals freilich kaum jemand. Schon 1990 war der Besucherstrom abrupt abgebrochen.
Davon hat sich die Kunsthalle nicht mehr richtig erholt, obwohl die neue Direktorin ein ansprechendes, wenn auch nicht übermäßig spektakuläres Programm bietet. Vor einem Jahr hat sie, die bei den Rostockern ein wenig von oben herab „Nachholbedarf“ diagnostiziert, Gouachen von Emil Schuhmacher aus den achtziger Jahren gezeigt, dann in diesem Frühling „frühe Holzschnitte“ von HAP Grieshaber. Dazwischen streute die Museumsdirektorin allerhand Zeitgenössisches wie die Arbeiten von Kristián Gudmundsson in einer Einzelausstellung, oder die Sammlung Schyl aus der Kunsthalle Malmö mit Werken von Barbara Kruger, Anthony Gormley, Claes Oldenburg, Per Kirkeby, Richard Serra und Cindy Sherman.
Allein, es scheint, als stünde die Kunsthalle beim Kampf ums Massenpublikum auf verlorenem Posten. Eine Konzession an „die vielen Rostocker Besucher“ hat Annie Bardon schon gemacht. Während die Ausstellung der Sammlungsbestände in diesem Sommer noch dem 25jährigen Jubiläum der Kunsthalle gewidmet war, wird die alte Ostgalerie nun wieder ständig mit den „vertrauten Bildern“ bestückt. Die nächste Biennale wurde erst mal verschoben, sie wird kommendes Jahr stattfinden. Ihre Zukunft soll aber gesichert sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen