Soldaten dürfen als Mörder bezeichnet werden

■ Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes

Karlsruhe (dpa) – Ein Aufkleber mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ kann eine zulässige Meinungsäußerung sein und muß nicht in jedem Fall die Bundeswehr verunglimpfen. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem gestern veröffentlichten Beschluß (Aktenzeichen: 1 BvR 1423/92).

Die 3. Kammer des Ersten Senates hob damit vorangegangene Entscheidungen gegen einen Sozialpädagogen und anerkannten Kriegsdienstverweigerer auf. Dieser war wegen Volksverhetzung und Beleidigung vom Amtsgericht Krefeld zu einer Geldstrafe von insgesamt 8.400 Mark verurteilt worden. Sie verwies die Sache an das Amtsgericht zurück. Der Mann hatte während des Golfkrieges im Jahr 1991 an seinem Auto einen Aufkleber mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder“ mit der faksimilierten Unterschrift „Kurt Tucholsky“ angebracht.

Das Amtsgericht hatte darin einen Angriff auf die Menschenwürde einzelner Bundeswehrsoldaten gesehen, weil diese zu Schwerstkriminellen abgestempelt würden. Das Bundesverfassungsgericht unterstrich jedoch, auch scharfe und überzogene Kritik falle unter den Schutz der Meinungsfreiheit. Die Strafgerichte hätten nicht berücksichtigt, daß die beanstandete Äußerung „umgangssprachlich“ gedeutet werden könne. Dies etwa, wenn ausgedrückt werden solle, daß der Soldatenberuf im Ernstfall mit der Tötung von Menschen verbunden ist, die „als ungerechtfertigt beurteilt und deshalb mißbilligt wird“.

Im vorliegenden Fall sei auch der Gesamtzusammenhang nicht ausreichend gewürdigt worden. Der Begriff „Soldaten“ richte sich nicht allein gegen die Bundeswehr, zumal die Aussage als eine des am 21. September 1935 gestorbenen Schriftstellers Kurt Tucholsky gekennzeichnet sei. Ein „durchschnittlicher Leser“ wisse auch, daß die Bundeswehr seit ihrer Gründung noch nicht an einer bewaffneten Auseinandersetzung teilgenommen habe und so noch niemand im Rahmen eines Krieges getötet worden sei. Es sei nahezu ausgeschlossen, daß der Aufkleber so verstanden werden konnte, daß Bundeswehrsoldaten Mordtaten vorgeworfen würden.