: Der Ticket-Trick der Trittbrettfahrer
■ Billig, öko, schadet niemandem: die Erschleichung eines Semester-Tickets
Hans Lammdorf (Name geänd.) ist 40, Sozialarbeiter mit BAT-Stelle und Erstsemester. So rechnet er: Ich investiere 137 Mark in meinen Studienplatz – Sozialabgaben, Astakohle plus Zwangsbeitrag für ein Semester-Ticket des Verkehrsverbundes Bremen Niedersachsen (VBN). Ich erhalte dafür die Möglichkeit, sechs Monate lang umsonst mit Bus und Eisenbahn zwischen Rotenburg, Sulingen, Hude, Brake und bald sogar Bremerhaven und Oldenburg umherzupendeln und in Bremen Straßenbahn zu fahren. Die einfache Fahrt von sagen wir Hanstedt bei Zeven nach Bremen kostet 6,50 Mark, hin und zurück 13 Mark, das nur zweimal im Monat macht schon 26 Mark, das sind im Semester glatt 156 Mark. Zweimal im Monat die Strecke, und ich bin mit dem Studiticket schon im Plus. Eine lohnende Investition, dieser Studienplatz! Und ökologisch sinnvoll! Wer wollte denn da noch ein Auto bewegen? Wenn man eine Regional-Netzkarte für alles in allem 25 Mark im Monat bekommt?!
Keine Frage: in der Uni wird Hans Lammdorf niemandem einen Sitzplatz wegnehmen. Er ist eine der ungezählten Karteileichen. Schaden die der Uni? Herr Bäuml von der Abteilung „Hochschulentwicklung“ meint: nein. Der Aufwand, eine Karteileiche zu verwalten, sei gering. Höchstens in den neuerdings so aktuellen Hochschul-„Rankings“, interuniversitären Leistungsvergleichen, versauten die Langzeit-Leichen die Statistik. Bremer StudentInnen scheinen zu bummeln. Bäuml mahnt allerdings, Vortäuschung von Studentsein sei ein Straftatbestand. Nur: wo ist der Kläger?
Auch beim VBN suchen wir vergeblich nach einem Kläger. „Unsere Rechnung ist ganz einfach,“ sagt Geschäftsführer Strenge: „Wenn der Scheinstudent vorher ein Auto fuhr, haben wir einen Kunden und 12,30 Mark im Monat gewonnen. Schlecht wäre es nur, wenn er vorher eine reguläre Monatskarte bezahlt hätte.“ Die Möglichkeit beunruhigt ihn offensichtlich nicht. Ist ja auch ein korrektes Geschäft für Bus und Bahn: 22.000 StudentInnen, die monatlich zuverlässig 12,30 Mark abdrücken, das ist besonders im Jahrhundertsommer, wenn die Menschen lieber radeln, eine sichere Bank.
Eine sehr sichere Bank: Mehrkosten für den VBN dürfen auf 22.000 Schultern abgewälzt werden. Sollte z.B. wegen starker Nachfrage der ein oder andere Zusatzbus nötig werden, werden die Kosten geteilt und umgelegt.
Übrigens wurden im Semester Zusatzbusse eingesetzt: 12 Stück pro Tag zwischen Bahnhof und Uni. Kosten bei 700 Mark pro Tag und Bus: 8.400 Mark am Tag, mal 85 Veranstaltungstage heißt ca. 700.000 Mark Mehrbedarf. Erstsemester Hans muß damit rechnen, daß das Semesterticket in seinem zweiten Semester (nach dem ersten Probejahr) dreißig Mark teurer wird. Na und? Der Heiermann im Monat tut ihm nicht weh. BuS
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