: Rüschen oder Gefängnis?
■ Dreitägige Möbel-Design-Ausstellung im Hamburger Curio-Haus: Vom Schönen zum Guten, von der Elbe an den Bosporus Von Greta Eck
Von hier oben sieht man den Hafen, die glitzernde Elbe, die Wolken, auch den dreckigen Hinterhof. Am Fenster steht der Stuhl, ein Küchenstuhl. Ein Schiff gleitet vorbei, ruhig, ein anderes zieht langsam in die Gegenrichtung. Doch beim Schauen zappeln die Beine, die Gemütsruhe findet keinen Platz im Körper. Denn das Möbel paßt nicht, es gibt einen anderen Lebens-Rhythmus vor. Ein Küchenstuhl ist eben ein Arbeitsgerät und kein Sessel.
Wohnen ist kein Bühnenstück vom Regisseur „Geschmack“ allein. Auch die Varianten des Sich-Aufhaltens, die eigene Rolle in der Wohnung – Arbeiten, Relaxen, Nachdenken, Repräsentieren – bestimmen die Inszenierung. Benötige ich überhaupt einen Stuhl? Oder eher ein Kanapee? Vielleicht ein Lotterbett? Zudem braucht die Persönlichkeit ihre Unterstützung, ihr Bühnenbild.
All dies sollte beim Möbel-De-sign berücksichtigt werden. Ob die deutschen Wohnungs-AusstatterInnen dies können, wird sich zeigen auf der Raum Objekte 94, eine Werk- und Verkaufs-Schau von 80 DesignerInnen in Hamburg, die neben recht konventionellem jungen Design – Marke Magazin – auch ausgefallenere Ideen präsentiert.
Eine dieser Ideen wurde Material in der rollbaren Holzbütt des Erkheimer Designers Otto Kinzer. Sie hält den Körper stramm umschlossen, stärkt ihn; wird jedoch gekippelt, rollt das Dings nach hinten. Fast scheint es, dieses Stück sei zur Zähmung des Zappel-Philipp entworfen worden.
Ganz anders dagegen die stuhlgewordene, elegante Erotik im „C 2“ der Hamburger Design-Gruppe Acero: Ein schlichtes Halbrund, das sein schwarzes Ledergewand an einer Seite aufspringen läßt, um sein langes Chrom-Bein zur Geltung zu bringen. In dieses fließende Möbel sollte sich nie und nimmer ein Mann setzen dürfen – kaum elegant, wenn bei ihnen was blitzt. Ein Design, das scheinbar nur zum Flirten allein geschaffen wurde.
Beim Bett stellt sich die Frage nach dem Möbelbedürfnis in äußerst klarer Weise: Möchte ich ein hölzernes Klappbett – schlicht, solid, grundanständig und leicht zu beziehen (beispielsweise das fast an alte Ikea-Zeiten erinnernde von Klaus Mildenberger)?
Oder eher eins, was zu üppiger Ausschweifung einlädt, womöglich mit voluminöser Aufpolsterung und rosa Rüschen an Chippendale-Beinchen? Oder lieber gleich das derbe Gestell, das seine Designer noodles, noodles & noodles „Jailhouse Fuck“ nannten: Massive Eisenstäbe, verschweißt zu einem schweren Bett-Gerüst, das jedem Knast die Ehre machen würde und für Handschellen-Halterung beste Konditionen bietet? (Die Hersteller aus Neuss liefern keinen Lattenrost mit, sondern ein Paar solcher Metall-Utensilien.)
Weniger abhängig von der Lebensform, sondern eher vom Geschmack sind Regale, die braucht man schließlich immer. Wer glaubte, da tue sich seit den japanischen und italienischen Schief-Hänge-Teilen nicht mehr viel, irrt.
Die Berlinerin Anna Katharina Sykora schuf mit ihren getöpferten Minarett-Konstruktionen wunderschöne orientalisch anmutende Gebilde, die ein ständiges, wehmütiges Denken an jenes Istanbul hervorrufen, wo die Märchen aus tausend und einer Nacht noch erzählt werden und der ferne Ruf des Muezzin in der Morgenröte über der gesamten schlafenden Stadt und dem glitzernden Bosporus zu hören ist.
Sollten schöne Dinge in der Wohnung so den Drang erzeugen können, dieselbe zu verlassen – von der Elbe an die Meerenge vor Konstantinopel – und somit kontrasensitiv wirken können? Sollten deshalb vielleicht wieder staksbeinige, recht-winklige und recht-schaffene Küchenstühle die Wohnung in Besitz nehmen? Wie man's dreht und wendet – das Zuhause scheint dazu geschaffen, verlassen zu werden. Auch wenn's den DesignerInnen nicht gefällt.
Curio-Haus, Rothenbaumchaus-see 13, 7. bis 9. Okt.; Fr 20 bis 24 Uhr, Sa + So 11 bis 20 Uhr. Eintritt 10 Mark, ermäßigt 8 Mark.
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