: "Die Wähler erwarten das von uns"
■ taz-Interview mit Willi Brüggen vom Berliner Landesverband Bündnis 90/Die Grünen über die Reaktionen auf sein zusammen mit Jochen Esser und Andreas Schulze verfaßtes Thesenpapier zum Umgang mit der PDS
taz: Ihre Thesen haben einigen Wirbel entfacht. Das dürfte Sie nicht überrascht haben.
Willi Brüggen: Nein, obwohl wir uns über viele aufgeregte Kommentare dann doch gewundert haben. Der Text ist als Reaktion auf die Wahlen in Sachsen-Anhalt entstanden. Jetzt ist er von Wolfgang Templin wieder hervorgekramt worden. Es gibt die Kritik, daß damit dem grünen Wahlkampf geschadet wurde. Ich sehe das nicht. Wer in Magdeburg die Tolerierung durch die PDS will, kann nicht verbieten, daß in anderen Landesverbänden darüber nachgedacht wird, wie man dem Zwang zu Großen Koalitionen entgeht. Im Gegenteil, ich denke, unsere Wähler erwarten das von uns.
Der sachliche Kern der Kritik ist: Bei Bündnissen mit der PDS gebe es für Bündnis 90/Die Grünen nichts, aber auch gar nichts zu gewinnen. Was gibt es denn Ihrer Meinung nach zu gewinnen?
In Berlin wird es ohne die PDS keine Reformmehrheit geben. Für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre bleibt es also bei einer Großen Koalition, wenn wir nicht irgendeine Form der Kooperation mit der PDS finden. Außerdem wollen wir die Auseinandersetzung um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit dort haben, wo sie hingehört – in die PDS. Das können wir erreichen, indem wir der PDS zwar eine Zusammenarbeit anbieten, diese aber an eine Reihe von Bedingungen knüpfen.
Ihre Überlegungen sind sehr abstrakt. „In Berlin existiert eine überwältigende Mehrheit für einen politischen Wechsel“, heißt es in dem Papier. Die entscheidende Frage aber beantworten Sie nicht: Wir wird daraus Politik?
Diese Frage kann auch nur in einem langen Diskussionsprozeß beantwortet werden. Wir haben dafür einen Startschuß gegeben und Bedingungen genannt, die für ein Reformbündnis notwendig sind.
Vermutlich gibt es aber weder bei den Sozialdemokraten noch bei Bündnis 90/Die Grünen oder der PDS Mehrheiten für eine solche Koalition. Interessiert Sie das nicht?
Wenn Ditmar Staffelt sagt, daß eine Zusammenarbeit mit der PDS unter keinen Umständen in Frage kommt, dann bedeutet das, die SPD legt sich darauf fest, für die kommenden zehn Jahre Mehrheitsbeschafferin für die Christdemokraten zu sein. Sie macht sich dadurch als Reformpartei überflüssig. Das werden nicht alle in der SPD mitmachen. Bei der PDS ist das ähnlich. Mit unserer Diskussion wollen wir auch innerhalb dieser Partei Differenzierungen beschleunigen. Die PDS ist ja sehr heterogen.
Nennen Sie mal drei konkrete Punkte, mit denen Sie die Politik-, vor allem aber die Reformfähigkeit einer solchen Koalition belegen können.
Die Beschreibung der konkreten Reformprojekte bildet den Schwerpunkt unseres Papiers. Das ist leider durch die starke Kürzung der taz-Veröffentlichung rausgefallen. Die Schnittmenge dieser Reformprojekte ist die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Sachlich wie programmatisch gibt es da Übereinstimmungen. Zwei weitere Punkte wären: eine veränderte Wirtschafts- und Ökologiepolitik, die zu einem ökologischen Stadtumbau führt, sowie das Festhalten an der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit.
Mal abgesehen davon, ob es diese tragfähige Basis für ein Reformprojekt gibt: Warum wollen Sie dafür gleich eine Koalition?
Bei einem Tolerierungsmodell zieht der kleinere Regierungspartner schnell den kürzeren. Während die SPD mit PDS oder CDU Regierungsmehrheiten aushandelt, sitzen die Grünen krötenschluckend am Katzentisch der tolerierten Minderheitsregierung. Gleichzeitig könnte sich die PDS als einzig wirkliche Opposition profilieren.
Wird jetzt nicht etwas nachgeholt, was bislang zu kurz kam – eine Debatte über die Rolle von Bündnis 90/Die Grünen: links von der SPD oder eine ökologisch-demokratische Kraft quer zu den politischen Lagern?
Wir haben im Augenblick die Schwierigkeit, allzusehr ins Schlepptau von Scharping geraten zu sein. Dennoch: Wir sind inhaltlich die profilierteste Partei und haben es nicht nötig, nur Koalitionsarithmetik zu betreiben. Wir müssen darüber reden, welche Politik mit wem gemacht werden kann. Unsere Partei tut gut daran, sich weiterhin weder als linkes Anhängsel der SPD noch als neue FDP zu profilieren. Ich glaube vielmehr, daß wir langfristig so etwas werden könnten wie das Zentrum eines neuen Reformbündnisses. Interview: Jens König
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