Ein Lockmittel für die Industrie

■ Hochtechnologie-Standort Berlin - eine taz-Serie (fünfter und letzter Teil): Zukunftsforscher Holger Rogall will im Windschatten des Baubooms Umweltfirmen fördern / Umweltschutz schafft neue ...

Holger Rogall arbeitet als Fachbereichsleiter für ökologische Wirtschaftsforschung beim Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) und sitzt für die SPD im Umwelt- und Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses.

taz: Berlin wird Zukunftsstandort für Gen- und Biotechnologie, Laser- und Computertechnik, wünscht der Senat. Ist das der richtige Weg?

Holger Rogall: Ja, wir müssen in diesen Bereichen investieren. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß 50 andere Regionen in Europa dasselbe tun. Alle wollen die Technik der Zukunft entwickeln und auf den Markt bringen, jeder möchte vorne sein. Berlin sollte darüber hinaus einen besonderen Akzent bei der Umwelttechnik setzen.

Die Gen-WissenschaftlerInnen wissen oft gar nicht, was sie mit ihren Versuchen auslösen. Betrachten Sie die Häufung von immerhin 180 Gentech-Anlagen an der Spree mit Skepsis?

Sicher gibt es Risiken, aber wir können uns nicht erlauben, aus allen risikoreichen Techniken auszusteigen. Das kann eine Industrieregion mit einem großen Mangel an Arbeitsplätzen nicht machen. In den im Gentechnologie-Gesetz festgelegten unteren Sicherheitsstufen kann man sehr wohl forschen. Bei den höheren Sicherheitsstufen, wo die Risiken zunehmen, bin ich allerdings sehr skeptisch und meine, daß der Senat statt dessen stärker auf die Umwelttechnik setzen sollte.

Welche Möglichkeiten gibt es über die schon bestehenden Umweltförderprogramme hinaus?

Diese Programme sind wichtig, reichen aber nicht aus. Berlin könnte strengere Rahmenbedingungen setzen und schärfere Umweltauflagen verhängen als andere Bundesländer. Das Land hat sich zum Beispiel verpflichtet, bis 2010 seine Kohlendioxid-Emissionen um 50 Prozent zu reduzieren – ein sehr ehrgeiziges Ziel, das mit den konventionellen Maßnahmen nicht zu erreichen ist. Hier könnten wir zwei Dinge miteinander verknüpfen: Dieses Ziel ansteuern und gleichzeitig zukunftsgewandte Technologien und Arbeitsplätze schaffen. Möglich wäre, eine Solaranlagenverordnung zu verabschieden, damit alle öffentlich geförderten Wohnungsbauten künftig einen Sonnenkollektor auf dem Dach haben und 60 Prozent des Warmwasserbedarfs mit Sonnenenergie gedeckt werden.

Eine abschreckende Vorstellung für Immobilieninvestoren.

Davon kann keine Rede sein. Eine Solaranlage macht ein bis zwei Prozent der Gesamtkosten einer Wohnung aus. Das schreckt nicht ab. Parallel zu der Solarverordnung könnte man den Kollektor- und Speicherherstellern im Bundesgebiet sagen: Wenn Ihr euch hier niederlaßt, werdet Ihr bei der Auftragsvergabe für die neuen Großsiedlungen bevorzugt behandelt.

Umweltauflagen als Druck- und Lockmittel für die Industrie?

Wenn der Senat die Kraft hätte, die Rahmenbedingungen zu verändern, könnte er mit Investoren verhandeln und argumentieren: Wir haben im Flächennutzungsplan Grundstücke reserviert, wir haben Förderinstrumente, und wir haben eine durch Auflagen erzeugte dauerhafte Nachfrage. In den kommenden 20 Jahren wird in Berlin mehr gebaut als in den 100 Jahren danach. Da lohnt es sich, mit millionenschweren Investitionen hierherzukommen, Produktionsstätten auszubauen, und es lohnt sich, Forschungsabteilungen zu gründen, weil Berlin im Umweltsektor eine führende Rolle übernimmt. Das ist eine einmalige Chance, die wir auf keinen Fall verpassen dürfen.

Kennen Sie weitere Beispiele für die Kopplung von Umweltauflagen und neuen Arbeitsplätzen?

Die öffentlichen Fördermittel für die Gebäudesanierung müssen an bestimmte Standards der Wärmedämmung gekoppelt werden. Außerdem soll die Bewag kostendeckende Einspeisungsvergütungen für Strom aus Photovoltaikanlagen ins öffentliche Netz zahlen. Damit würde ein einmaliger Nachfrageschub entstehen.

Selbst optimistische Prognosen gehen davon aus, daß der Umweltsektor im Jahr 2000 nur drei bis vier Prozent aller Arbeitsplätze liefert. Für Berlin wären das ungefähr 60.000 Jobs, was den Verlust von Industriearbeitsplätzen der vergangenen Jahre nicht annähernd ausgleicht.

Wer allein auf Umwelt setzt, zielt in der Tat zu kurz. Wenn Umweltinvestitionen aber gefördert werden, bekommt Berlin möglicherweise mehr Arbeitsplätze ab als die statistischen vier Prozent. In jedem Fall schafft der Umweltschutz neue gewerbliche und industrielle Stellen, was man von den meisten anderen Branchen nicht sagen kann. Fast überall findet ein dramatischer Abbau von gewerblichen Jobs statt – da ist jeder zusätzliche Arbeitsplatz im Umweltsektor um so höher zu bewerten.

Angesichts der 50 Regionen, die sich um dieselben Technologien bemühen, ist Berlin eine unter vielen. Wäre die Stadt einzigartig, wenn hier die Umwelttechnik gefördert würde?

Einzigartig zu sein kann man sich abschminken. Aber besondere Chancen hat Berlin immerhin. Unter 50 zu den ersten fünf zu gehören, ist doch schon etwas. Interview: Hannes Koch

Die ersten vier Teile der Serie sind am 5., 9., 17. und 23.9. erschienen.