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Wie Männer Männer lieben

Gleich und gleich gesellt sich gern? Von wegen. Die Sex-Vielfalt von Schwulen funktioniert wie ein Kastensystem. Ein kleines Szene-ABC von  ■ Elmar Kraushaar

Die gay community als fröhliche Gemeinde mit glücklichen Schwulen – eine fromme Lüge. Und der Hinweis auf die allseits verbindende Gemeinsamkeit eines gleichen Sexualverhaltens – pure Ideologie. Das macht sich gut nach außen, und die heterosexuelle Klientel nähert sich dem einst Fremden ganz aufgeklärt als einer Liebe wie jede andere.

Dabei ist die sexuelle Wirklichkeit homosexueller Männer weitaus komplizierter.

Richard* steht auf Männer, keine Frage. Aber nicht bedingungslos. Sie dürfen seine Sprache nicht sprechen und müssen eine andere Hautfarbe haben. Als Industrie-Manager ist Richard, 37, oft unterwegs in der Welt. Wobei er seine ganz privaten Studien betreibt, die in keinem ethnologischen Lehrbuch beschrieben sind. Richards Erkenntnisse: Schwarzafrikaner sind extrem homophob, Araber haben keine Berührungsangst vor welker Haut, junge Thailänder sind willig gegen gute Bezahlung.

Richard jongliert souverän mit seinen Klischees, denkt politisch liberal und weist jeglichen Rassismusvorwurf weit von sich: „Davon verstehst du nichts. Das ist eine andere Kultur, eine andere Mentalität.“

Seinen Hang zum Fremden pflegt der Weitgereiste seit mehr als zehn Jahren: „Ich hatte die Schnauze voll von den gestelzten Homos und ihren rigiden Balzgesetzen. Du kriegst in der Subkultur doch nur einen Mann ab, wenn du genauso chic und schön bist wie alle anderen.“ „Aber der Ägypter“, schwärmt Richard, „der fickt dich ordentlich durch. Egal, wie du aussiehst.“

Ist er nicht auf Reisen, lebt Richard in Berlin, tagsüber unauffällig. Nachts kennt er seine Plätze. Weiß genau, wo er junge Türken trifft oder Araber oder Pakistaner. „Die Sprache ist kein Problem. Auch ohne viele Worte wissen die sofort, wo's langgeht.“ Zu deutschen Schwulen hat er kaum Kontakt, außer zu jenen, die seine Vorlieben teilen. Eine eingeschworene Clique, die sich untereinander mit Tips und Ratschlägen versorgt.

„Bist du schwul?“ Richard findet die Frage überflüssig: „Nein. Nicht.“

Dafür hält sich Eberhard für „schwul bis unter die Achselhöhlen“: ein Fickprofi mit täglich wechselndem Partner. „Ich brauch' das“, sagt der 43jährige Arzt, „Sex ist ein Grundbedürfnis.“ Im weißen Kittel am Tag, zieht er schwarz vor für die Nacht. Eberhard ist ein Ledermann, ganze neun Monturen hängen, sorgsam gepflegt, in seinem Schrank, dazu zwei Uniformen. „Die eine, das ist der letzte Schrei. Die hat mal ein Cop getragen in New York.“

Noch bevor Eberhard ausgeht, hat er sich auf eine Präferenz festgelegt. Eigentlich ist er sexuell flexibel, aber mit der richtigen Wahl für das jeweilige Tuch in der hinteren Hosentasche programmiert er die Nacht. Pissen (gelbes Tuch) oder Faustficken (rot), aktiv (linke Hosentasche) oder passiv (rechte) – das ABC der Tücher ist international.

So wie der Reiseplan des ordentlichen Ledermanns. Wie in einem großen Troß, so scheint es, zieht es die leather community an jedem Wochenende von Ort zu Ort. Grenzüberschreitend. Allein 28 Termine werden für den Oktober 1994 angeboten, dabei ist die Hauptsaison schon vorbei. In London feiert der MSC seinen 21. Geburtstag, einen „Bauernhaus- Treff“ gibt es in Wiesbaden, aus Österreich lockt „Wien in Schwarz“, Mailand ruft zum „4th International Leather Meeting“, und New York richtet zum x-ten Mal den „Mr. New York Leather Contest“ aus. Natürlich kann Eberhard nicht überall dabei sein, aber im August war er drei Tage in Hamburg. Wie mehr als tausend andere Ledermänner auch. „Da trifft man natürlich viele bekannte Gesichter, aber es sind auch immer wieder viele neue dabei.“ Das Programm von Hamburg selbst liest sich nicht anders wie das irgendeines Betriebsausflugs: „Fahrt ins Blaue für Motorradfans“, „Kaffeetrinken im Tom's (Kaffee und Kuchen gratis!)“, „Große Party auf der Cap San Diego“.

Diese Geselligkeiten einer großen Familie liebt Eberhard und, natürlich, die Riesenauswahl an ständig wechselnden Männern. Seit neun Jahren mischt er mit im Lederzirkus – und kommt, fast immer, auf seine Kosten. „Das ist eine Altersfrage“, erklärt er. „Als ich 30 wurde, merkte ich, daß meine Chancen auf dem normalen Markt gegen Null gingen.“ Aber seitdem er Leder trägt, wirkt er wieder attraktiv. „Unter uns gibt es keine Altersgrenze.“ Auch das Schönheitsideal richtet sich mehr nach der zweiten Haut als nach der ersten, die schon mal faltig oder dick sein darf.

Für Peter ist das Angebot an Sexualpartnern nicht groß. Der 41jährige Bibliothekar steht auf junge Jungs. Die man kennenlernt im Schwimmbad und sich mieten kann am Bahnhof Zoo.

Als Peter noch jünger war, engagierte er sich in der Schwulenbewegung. Lang ist's her. Er wurde älter, aber seine Begehrten blieben 13, 14, 15 Jahre jung. Peter merkte allmählich, daß er „falsch“ war in seiner Schwulengruppe. Die anderen schwärmten für Männer in ihrem Alter, besuchten andere Kneipen, redeten über andere Probleme.

Er wird noch heute ärgerlich, wenn er daran zurückdenkt: „Die Schwulenbewegung hat sich nie mit uns Knabenliebhabern auseinandergesetzt. Mal gehörten wir dazu, mal wurden wir wieder ausgegrenzt, ganz nach Belieben.“

Nichts mehr zu kitten gibt es für Peter seit der letzten ILGA-Konferenz dieses Jahr in New York. Auf Druck von rechten US-Politikern hatte der schwul-lesbische Weltverband zwei Pädophilengruppen aus ihren Reihen ausgeschlossen. „Bemerkenswert ist“, analysiert er, „daß just aus den Ländern, in denen die Homo-Ehe inzwischen erlaubt ist, die heftigsten Befürworter für den Pädo- Rausschmiß kamen.“ Peter fühlt sich jetzt vollends isoliert und alleingelassen mit dem Vorwurf, seine sexuellen Vorlieben seien nichts anderes als ein Psycho-Defekt: „Das sagen mir inzwischen selbst die radikalen Schwestern, mit denen ich noch vor zehn Jahren demonstriert habe.“

Was gerne – ganz euphemistisch – als homosexuelle Vielfalt ausgegeben wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als strenge Aufteilung in verschiedene Welten. Und mitunter stehen die sich feindselig gegenüber. Das Bild von der jungen, urbanen Beauty mit gelungenem Coming-out, allen Safer- Sex-Regeln im Kopf und beseelt von dem Wunsch nach staatlicher Anerkennung seiner glücklichen Zweierbeziehung, ist eine Erfindung schwuler Funktionäre. Und die einer liberalen Öffentlichkeit.

Dabei gibt es den Homosexuellen nicht – gegen alle Propaganda. Aber es scheint so, als sei der Tribut für bessere Lebensbedingungen die Preisgabe jeglicher Gemeinsamkeit, die weit jenseits liegt von der angenommenen eines gleichen Sexualverhaltens.

Die Idee von den Männern, die Männer lieben, ist eine Sackgasse.

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