: Nichts sehen, nichts hören, nichts riechen
Zwei ehemalige französische MinisterInnen und ein Ex-Regierungschef sollen sich in Paris wegen „Komplizenschaft bei Vergiftung“ durch Aids vor Gericht verantworten ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Wie die berühmten drei Affen wollen Goergina Dufoix, Edmond Herve und Laurent Fabius nichts gesehen, nichts gehört und nichts gerochen haben. 1985, als sie Sozialministerin, Gesundheitsminister und Regierungschef waren, hätten die drei SozialistInnen die Infizierung mehrerer hundert Menschen mit dem Aids-Virus verhindern können – wenn sie schnell genug gehandelt hätten. Sie hätten dazu verseuchte Blutprodukte aus dem Verkehr ziehen und Zwangstests für BlutspenderInnen einführen müssen. Weil sie das nicht – beziehungsweise erst spät – taten, machten sie sich der „Komplizenschaft bei Vergiftung“ schuldig, so der Vorwurf ihrer Opfer. Diese Woche wurden die drei Ex-Regierungsmitglieder erstmals von dem Gericht geladen.
Die Anhörungen wurden möglich, nachdem im vergangenen November der Gerichtshof der Republik eingerichtet wurde, der sich ausschließlich mit den Missetaten von PolitikerInnen befaßt. Ein zweiter entscheidender Faktor ist die Hartnäckigkeit der Opfer. Zwei HIV-infizierte Bluter, die Brüder Jean und Gabriel Peron- Garvanoff, hatten 1983 mit ihrer „Klage gegen Unbekannt“ den Anfang der Lobbyarbeit gemacht. Zwei Jahre später schlossen sich fünf weitere Bluter an.
Bis zu dem Prozeß gegen vier leitende Mediziner des „Nationalen Zentrums für Bluttransfusionen“ (CNTS) sollten noch viele Jahre vergehen. Vorher kam es zu einem Abkommen zwischen Gesundheitsministerium, HIV-Infizierten Bluterkranken und den Krankenkassen, wonach eine Entschädigung von lächerlichen 100.000 Francs (30.300 DM) an jene Opfer gezahlt wurde, die sich verpflichteten, keine juristischen Schritte zu unternehmen.
Erst 1991 sorgten Zeitungsberichte über das CNTS, wo Mediziner monatelang untätig zur Kenntnis nahmen, daß ihre Blutprodukte HIV-infiziert waren, für eine Anklageerhebung. Bei dem Prozeß wurden vier Ärzte, darunter auch Garretta, zu Gefängnisstrafen verurteilt. Inzwischen sind alle wieder auf freiem Fuß.
Die zweite – ebenfalls mehrere hundert Menschen zählende – Gruppe von Betroffenen, die Transfusionsopfer, kam erst sehr viel später zum Zuge. Henriette Duplessis ist eine von ihnen, sie wurde von ihrem Mann angesteckt, der 1983 eine infizierte Bluttransfusion bekam. „Wenn die Transfusionsopfer rechtzeitig zu Kontrolluntersuchungen gerufen worden wären, hätten sie nicht auch noch uns angesteckt“, sagt sie heute. Duplessis' Vorwurf geht an die Adresse der damaligen sozialistischen Regierung. Anfang 1985 hatte eine US-amerikanische Firma bei den französischen Behörden die Zulassung des „Abbott-Tests“ zur Feststellung des HIV-Virus beantragt. Das Verfahren dauerte über ein halbes Jahr. Erst im Juli, einen Monat nach der Zulassung des von der französischen „Diagnostics Pasteur“ erstellten Tests, durfte der „Abbott- Test“ auf den Markt. In der Zwischenzeit sollen mehrere Sitzungen in den Ministerien stattgefunden haben, bei denen das Argument fiel, dem französischen Produkt müsse eine Chance gegeben werden.
Dufoix, Herve und Fabius wollen weder von den Vorgängen im CNTS noch von den Beratungen in ihren eigenen Ministerien gewußt haben. „Ich bin verantwortlich, aber nicht schuldig“, lautet ein vielzitierter Satz, den Dufoix äußerte, als erste Vorwürfe gegen sie laut wurden. Herve beruft sich darauf, daß er sich auf seine Fachleute verlassen habe. Und Ex-Premier Fabius will erst spät von der Existenz der neuen Möglichkeiten zur Aids- Prävention erfahren und dann sofort gehandelt haben.
In den kommenden Monaten will das Gericht eine Anklageerhebung gegen die drei prüfen. Dazu werden neben den Verdächtigen – Fabius hatte gestern seine erste Anhörung, Dufoix und Herve waren Anfang der Woche zu mehrstündigen Gesprächen geladen – auch zahlreiche Opfer als ZeugInnen geladen. Neben persönlichen Erinnerungen werden vor allem Notizen aus Ministerialsitzungen und Briefwechsel geprüft werden.
Mindestens ein Jahr wird es dauern, bis die Entscheidung über einen Prozeß fällt. Der Gerichtshof kann eine Anklageerhebung auch ablehnen. Daß er das letztlich tun wird, ist nicht unwahrscheinlich: Der Vorwurf der „Komplizenschaft bei Vergiftung“ unterstellt eine Vergiftungsabsicht. Und es wird schwer – wenn nicht gar unmöglich – sein, den drei Ex-Regierungsmitgliedern eine derartige Absicht nachzuweisen. Die Tatsache, daß sie in Ausübung ihrer Ämter möglicherweise wie die drei Affen handelten, reicht für eine Anklage nicht aus.
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