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„Wir wollten demonstrieren“ hochhalten“

■ Im taz-Interview: Der 22jährige Jura-Student H. war am 3. Oktober dabei - auch als die Polizei über 100 Menschen „in Gewahrsam“ in eine Garage nahm

Lambert Heller, Abi an der Kleinen Helle, Jurastudent, 22 Jahre alt, ist einer von denen, die der Polizeigewerkschafter Lutz „hochgradige Kriminelle“ genannt hat und von denen der Bremer Bürgermeister Wedemeier gesagt hat, es seien „keine Demonstranten, die ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen wollten.“ Wir fragten Lambert Heller nach seiner politischen Überzeugung und nach den Stunden, die er im Polizeigewahrsam war.

taz: Warum bist Du am 3. Oktober auf die Straße gegangen?

Lambert Heller: Ich habe etwas gegen diesen bierseligen nationalistischen Freudentaumel, der völlig unbegründet ist. Die letzten fünf Jahre, die da gefeiert werden sollen, sind gefüllt mit Entwicklungen, die ich ablehne: Militarisierung in der Außenpolitik, Verarmungspolitik, es gibt wieder 6 Millionen Arbeitslose, Grundrechte werden abgebaut - als nächstes kommt das Recht auf Versammlungsfreiheit dran.

Ist das Ende des DDR-Regimes und der Fall der Mauer für dich ein Grund zu feiern?

Was mich freut, ist, daß es Bürgerinnen und Bürger geschafft haben, sich ihrer Regierung zu entledigen, was in diesem Staat noch aussteht. Unangemessen finde ich, daß diejenigen, die für die Annektierung dieses Gebietes gesorgt haben, sich dieses Verdienst zuschreiben.

Würdest du dich als Anarchist bezeichnen? Als Autonomer?

Ich habe eine Skepsis gegen den Parlamentarismus, ich würde mich als Linksradikaler bezeichnen.

Im Sinne von Johannes Knief, dem Bremer Linksradikalen?

Den kenne ich nicht. Im Sinne von Marx und Luxemburg...

Sind die Alt-68er deine verknöcherten Pauker gewesen oder für dich eher Vorbilder?

Ein großer Teil der Studentenbewegung hat sich ein Schwarz-Weiß-Klassenkampf-Schema gemacht. Als sie gemerkt haben, daß das Ilusionen sind, sind viele zu braven staatstreuen Politikern konvertiert. Zum Beispiel Ralf Fücks, ehemaliger K-Grüppler. Ich habe Lehrer gehabt, die man als Alt-68'er etikettieren könnte, auf nicht auf alle trifft das zu. Da gibt es auch wackere Kommunisten...

Was wählt ein Kommunist ?

Er weiß, daß Wahlen nicht wichtig sind, als Kommunist. Der gesellschaftliche Umbruch ist nicht wählbar. Es kommt darauf an, theoretisch richtige Impulse in außerparlamentarische Bewegungen hineinzugeben, in Form guter kritischer Theorie.

Die Polizei sagt: Das war alles zentral gesteuert vom Sielwallhaus aus, Bremer Guerilla-Taktik mit Polizeifunk-Störung.

Bei den Sitzungen des Bremer Bündnis gegen dien Nationalfeiertag waren 70 Gruppen vertreten. Einmal in der Woche gab es Treffen, die für alle offen waren, alles wurde diskutiert, ein sehr demokratischer Prozeß, endlos. Da nahm keiner das Heft in die Hand, um schnell zu Ergebnissen zu kommen.

Scheiben wurden eingeschmissen, Autos angezündet - ist da ein theoretischer Impuls in die Bewegung eingeflossen?

Nein, auf keinen Fall. Daß theoretische Kritik in außerparlamentarische Aktion eingeflossen ist, das verstand van Nispen und seine Truppe zu verhindern. Die Infrastruktur wurde zerschlagen, bevor man einen vernünftige Demonstration hätte durchführen können. Als im Lagerhaus Schildstraße am Sonntag die zentrale Delegiertenversammlung begonnen hatte, zog die Polizei davor auf...

Die Polizei war informiert?

Verfassungsschutz.

Wie wären diese Tage abgelaufen - ohne Polizei?

Durch die Polizei wurden wir zu einem bestimmten Demonstrationsverhalten gezwungen. Wir konnten nicht gemütlich nebeneinander hergehen, Transparente hoch halten mit dem, was wir sagen wollten. Das hätten wir lieber gemacht. Wir wollten Flugblätter verteilen. Wir hätten uns besser untereinander verständigen können, um so etwas wie Scheiben einschmeißen zu verhindern.

Du bist dann in Gewahrsam genommen worden - warum?

Ein paar hundert Demonstranten war es gelungen, auf die Bürgerweide zu gelangen. Wir sahen, daß das Kongreßzentrum abgeriegelt war und zogen deshalb weg, Richtung Heuss-Allee. Da hat die Polizei einen Kessel um uns gebildet.

Und wurdest du festgenommen?

Nein, festgenommen worden bin ich nicht. Ich gehörte zu den hundert Personen, die von jeweils zwei Polizeibeamten herausgenommen wurden, ohne Verhaftung. Wir wurden nach Oslebs gefahren. Irgendwann ging der ganze Zug nach Hastedt ...

Was war denn das, wenn es keine Festnahme war?

Ich weiß es nicht. Bei einer Festnahme stelle ich mir vor, daß jemand einem sagt, weswegen man festgenommen wird. Uns hat niemand etwas gesagt.

Und in Hastedt?

Da wurden wir in eine Garage gebracht und warteten.

Hat man dann erklärt, daß ihr in Gewahrsam genommen seid?

Nein. Man hat uns über Stunden auch nicht erlaubt, mit einem Anwalt zu telefonieren, der uns über unsere Rechte hätte aufklären können. Da hat es sehr unschöne Szenen gegeben. Einem Freund wurde beschimpft mit Worten wie: Du bist doch schwul.... Ein anderer wurde unter den Achselhöhlen genommen und beim Gehen immer wieder schmerzhaft hochgehoben mit den Worten: Guck mal, wie John Lennon laufen kann..., einfach weil er lange Haare und eine kleine runde Brille hat. Ein Demonstrant, der von der Polizei zwei Zähne ausgeschlagen bekommen hatte, war auch in der Garage. Er verlangte nach einem Arzt, darauf mußte er sieben Stunden warten. Auch er durfte keinen Anwalt anrufen.

Einige Leute waren schon seit fünf Uhr morgens in der Garage und hatten, wie wir, weder zu essen noch zu trinken erhalten.

Kein Trinken?

Kein Trinken.

Kein Essen?

Kein Essen.

Wie lange warst Du in Polizeigewahrsam ohne Essen?

Von elf Uhr bis gegen 16 Uhr.

Was hast Du gelernt aus diesem Tag der Deutschen Einheit?

Es gibt Tendenzen, daß aus der Bundesrepublik ein Polizeistaat wird. Aber man darf sich nicht entmutigen lassen.

Man könnte auch lernen: Vorsichtshalber gehe ich nicht mehr auf verbotene Demonstrationen.

Könnte man. Aber das Geschehen vom 3. Oktober bestätigt, was Adorno meinte, als er sagte: die Gemütlichkeit sollte da aufhören, wo auf sie ein Prosit angestoßen wird. Das ist genau der Punkt. Int.: K.W.

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