: Berlusconi vor letztem Gefecht?
Justizminister Biondi bietet seinen Rücktritt an / Gerüchte um Ermittlungsverfahren gegen den Ministerpräsidenten / „Komplott“ der Neofaschisten gegen den Regierungschef? ■ Aus Rom Werner Raith
Schwere Erdbeben in Italiens politischer Landschaft – nicht nur einer, eine ganze Handvoll Institutionenkonflikte streben ihrem Höhepunkt zu. Regierungschef Berlusconi sucht verzeifelt die Flucht nach vorne: Seit Wochenbeginn verdichten sich Gerüchte, der Ministerpräsident habe bald mit einem Ermittlungsbescheid wegen Bestechung von Finanzbeamten zu rechnen.
Gestern erschien im Corriere della sera ein Interview mit dem Chef der Mailänder Antikorruptions-Sonderkommission, Saverio Borelli, wonach die Ermittlungen im Zusammenhang mit der Klärung der Eigentumsverhältnisse des Pay-TV-Senders Telepi „in höchste politische Kreise hineinführen“. Das wird allgemein als Ankündigung eines formellen Verfahrens gegen Berlusconi gewertet, standen diese „Klärungen“ doch just an, weil der Verdacht einer (nach dem Rundfunkgesetz unzulässigen) Beteiligung Berlusconis an dem Sender bestand.
Borellis Interview war seinerseits eine Reaktion auf eine in den letzten Tagen furios angeheizte Kampagne zahlreicher Vertreter der Berlusconi-Bewegung „Forza Italia“ gegen die Antikorruptionskommission: ein Vorgang, der fatal an eine ähnliche Kampagne vor drei Monaten erinnert.
Auch damals hatte Berlusconi ein wahres Trommelfeuer gegen die Mailänder Staatsanwälte eröffnet und damit sein famoses Dekret zur Freilassung Korruptionsverdächtiger vorbereitet – wie sich herausstellte, war ein Ermittlungsverfahren gegen hohe Manager seines Hauses und auch gegen seinen Bruder Paolo im Anrollen.
Justizminister Biondi, seinerzeit durch ein Flut von Protesten zur Rücknahme des Dekrets gezwungen, sucht seither die Staatsanwälte zu beuteln, wo es nur geht: Mal wirft er ihnen Amtsmißbrauch vor, mal gar Prozeßverfälschungen. Borelli konterte im Corriere- Interview: Beim Stichwort „Fälschung“ falle ihm vor allem der Prozeß um das pleite gegangene Bankhaus Ambrosiano ein...
Eine Breitseite gegen Biondi, der als Anwalt in dem Verfahren tätig war. Die Verteidiger hatten eine Reihe von entlastenden Dokumenten vorgelegt, die sich im nachhinein als gefälscht erwiesen.
Biondi fühlt sich durch Borellis Hinweis persönlich angegriffen und bot gestern prompt seinen Rücktritt an – den Berlusconi sofort zurückwies.
Die justitiellen Querelen treffen Berlusconi in einem Augenblick, wo er sowieso schwer angeschlagen ist: Staatspräsident Scalfaro hat am Dienstag einen bösen Brief an die Parlamentspräsidenten geschrieben und sich beklagt, er könne seine konstitutionellen Pflichten nicht mehr so recht ausüben: ständig greife Berlusconi zu Eildekreten, die ohne parlamentarische Debatte meist über Nacht verabschiedet werden und sofort in Kraft treten; und dies in glattem Gegensatz zu den Versprechungen bei der Regierungsbildung, die neue Administration wolle dieses Mittel möglichst gar nicht mehr einsetzen.
Inzwischen überlegen sich immer mehr Kommentatoren, warum denn all diese Konflikte ausgerechnet im Moment einer gewissen konjunkturellen Erholung entstehen – und das führt zu bösen Verdächtigungen. Nach Ansicht Rocco Buttigliones, des neuen Vorsitzenden der Italienischen Volkspartei, steckt hinter alledem eine schlaue Regie: Die Neofaschisten, Berlusconis scheinbar treueste Koalitionspartner, stellten sich in letzter Zeit so verdächtig massiv hinter die Strafermittler, daß nur ein Schluß möglich sei: die Rechtsausleger wünschen den Sturz Berlusconis. Dann nämlich wären Neuwahlen unumgänglich. Und Wahlen mit einer führungslosen „Forza Italia“ – das würde der „Nationalen Allianz“ die rechten Wähler in Scharen zutreiben.
Ein Chor von Dementis war die Folge – und das ist für die meisten Italienkenner ein fast untrügliches Zeichen, daß Buttiglione seine Behauptungen zumnindest nicht ganz aus der Luft gegriffen hat.
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