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„Wir haben die Gemeinheiten in uns gesucht“

■ Die Theatergruppe „Wild Bunch“ spielt Harold Pinters Einakter „Request Stop“ / Die Erfahrungen der Darsteller mit dem Stück: Ihre Lebenswirklichkeit sieht so ähnlich aus

Eine Frau steht an einer Bushaltestelle. Höflich fragt sie die Wartenden nach einer Busverbindung. Als auch nach wiederholtem Nachfragen niemand reagiert, steigert sie sich in immer heftigere Beleidigungen und Drohungen. Gleichzeitig entwickeln sich die stummen Wartenden zu einer feindseligen Gruppe, die ihre Ängste und Aggressionen immer offener an der Frau auslassen. Das Ende wird hier nicht verraten.

Eine unbeliebte Rolle: Die Frau in dem Einakter „Request Stop“ von Harold Pinter wollte niemand spielen. Schließlich willigte die 20jährige Christin Sokoll ein – wenn auch ungern. „Es ist eine ungeheuer einsame Rolle“, erzählt sie, „du stehst zwischen diesen Menschen alleine auf der Bühne, alles entwickelt sich gegen dich, du versuchst, mit deiner Außenwelt Kontakt aufzunehmen, und kriegst ständig eins auf den Deckel.“ Immer wieder habe sie sich im Verlauf der Proben darauf konzentrieren müssen, das Einsamwerden der Figur nicht mit ihrer eigenen Person zu verwechseln.

„Theatre of Menace“ – „Theater der Bedrohung“ heißt die Tradition, in der das Stück steht, das am kommenden Freitag von der Kreuzberger Theatergruppe „Wild Bunch“ auf dem Schultheatertreffen vorgeführt wird. Auf der Bühne demonstriert die Gruppe von Schülern und Ehemaligen der Robert-Koch-Oberschule Zusammenhänge, die jeder kennt und doch kaum einer sich bewußt macht: zwischen Anonymität, Angst, Aggression und Gewalt.

Die Szene an der Bushaltestelle habe tatsächlich etwas „Realistisches“, findet Sebastian Moritz, einer der Spieler. „Es ist doch egal, wo man hingeht. Diese Kontaktlosigkeit gibt es überall. Wenn du nur in die Disco gehst und dich umguckst, siehst du, daß alle für sich tanzen. Dabei ist es gar nicht so schwer, da mal rauszukommen und auf Leute zuzugehen.“ Eine andere der jungen Schauspielerinnen erzählt, wie ihr viel stärker die Kontaktarmut um sie herum auffalle, seit sie dieses Stück spiele. „So weit entfernt sind Realität und die Szene an der Haltestelle nicht. Vor allem, wenn ich mich nach der Probe in eine U-Bahn setze, in der kein Mensch spricht. Es ist manchmal ganz schön hart, das zu sehen.“

Je aggressiver die Frau an der Bushaltestelle ihre Kontaktsuche betreibt, desto gewalttätiger reagieren die Umstehenden. „Wild Bunch“ will auch Gewalt demonstrieren, wo sie herkommt und wie sie funktioniert. „Auf der Bühne kann es auch Gewalt geben, Theater ist doch wie ein Traum, fast sogar wie Klärung“, findet Mitspieler Rene Stäbler.

Deshalb wurde auch reichlich improvisiert, bis die einzelnen Szenen standen. Denn im Text Harold Pinters steht nach jedem Satz, den die Frau an der Bushaltestelle sagt, lediglich ein inhaltsleeres „Pause“. Alle diese Pausen mußten gefüllt werden – mit Aktion und ohne Sprache. „Dabei sind wir davon ausgegangen, was wir für Gemeinheiten in uns haben“, erzählt die Spielleiterin und Lehrerin Ilka- Cordula Felcht. „Auf der Bühne stehen keine Unschuldslämmer, sondern Menschen, die auch Lust daran empfinden können, über jemanden herzufallen.“

Seit 15 Jahren spielt Ilka-Cordula Felcht mit ihren Schülern Theater. Die erfolgreiche Gruppe entstand aus einem Kurs „Darstellendes Spiel“ und hat sich schnell verselbständigt. Viele in der Gruppe haben inzwischen ihr Abitur und sind dabeigeblieben. Mit diversen Aufführungen ist „Wild Bunch“ seit Jahren Stammkunde beim Theatertreffen der Jugend in Berlin, aber auch bei Theaterfestivals in Westdeutschland.

In fast allen Stücken hat in den vergangenen 15 Jahren Gewalt eine Rolle gespielt. Diese sei schließlich „eines der wichtigsten Themen im Leben“, findet die Spielleiterin. „Wir müssen uns auch mit den dunklen Seiten in uns beschäftigen – möglichst ohne den moralischen Zeigefinger. Jeannette Goddar

„Request Stop“ wird am Freitag, den 14. Oktober auf dem Schultheatertreffen im Fontane-Haus aufgeführt.

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