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Wenn ein blinder Mann boxt

Nach der kleinen, unfeinen Episode gegen den Amerikaner Iran Barkley denkt Weltmeister Henry Maske bereits an neue, größere Geschäfte  ■ Von Peter Unfried

Berlin (taz) – Ein Gesicht, dieses Gesicht! Ist das noch ein Gesicht? Da sitzt ein alter Mann in seiner Ecke: zermürbt, ausgehöhlt, geschlagen vom Leben, völlig blind, und jeder sieht: Iran Barkley ist ein fertiger Boxer. Doch was bleibt dem gelernten Kleinkriminellen aus der Bronx, New York City? „Ich raube dir dein Haus aus“, hat er einem Journalisten auf die Frage nach seiner Zukunft nach dem Boxen geantwortet: Ein Spaß ist das kaum gewesen.

Iran Barkley hat nichts zu lachen. Und nichts mehr zu geben. Der Mann ist 34, war dreimal Weltmeister, hat zweimal den relativ großen Thomas Hearns („The Hitman“) geschlagen, doch nun, da ihn die IBF nicht einmal mehr in ihren Top ten registriert, steht er nur noch seine Zeit im Ring ab. „Ausgeboxt“ nennt man einen solchen Kerl im Fachjargon. Einer, der ohne Rücksicht auf Substanzverlust zwanzig Kilo abspeckt, um das Halbschwergewicht zu bringen, der ohne Hirn boxt, keine erkennbare Strategie hat, der zwar ständig um sich schlägt, aber nie trifft, und von dem keiner weiß, ob er nach zwei Netzhautablösungen seinen Gegner überhaupt noch richtig sehen kann.

Dieser Kampf ist eine einzige Peinlichkeit: Doch für den Weltmeister Henry Maske ist es Alltag. Mit der emotionslosen Kälte eines professionellen Folterers macht er den bereits Geschlagenen noch fertiger: Bleibt stets in der Halbdistanz, um den unwahrscheinlichen Fall eines Zufallstreffers völlig auszuschließen, setzt seine linken Aufwärtshaken nur dosiert ein und trifft damit fast immer. Doch Barkley hält aus, was er kann: Erst nach neun Runden kommt er nicht mehr aus seiner Ecke, technischer K.o. nennt sich das, lange genug, um in Halle (Westfalen) allen ein gutes Gefühl zu schenken, die übliche Show zu ermöglichen. 13.500 jubeln, weil sie auch gewonnen haben, der Trainer Manfred Wolke eilt in den Ring und umarmt seinen Henry heftigst, Maske stößt immer wieder die Linke in den Himmel, und bereits eine Minute nach dem Abbruch sagt er: „Jeder, der den Kampf gesehen hat, weiß, wie stark dieser Bursche war.“

Das ist freilich wahr, und wer genauer hinkuckt, sieht noch mehr: Der Weltmeister, der etwa nach dem Kampf gegen Charles Williams, der ihm vor achtzehn Monaten den Titel brachte, kaum ganze Sätze sprechen konnte, sprudelt nach der fünften Titelverteidigung die Platitüden nur so heraus, und einen Hinweis auf sein makelloses Äußeres wehrt er so lässig ab wie eine Rechte Barkleys. „Man lernt immer dazu“, sagt er, „irgendwann muß ich auch einmal clean aus dem Ring kommen.“ Während Barkley daherkriecht, um die Hand des Siegers artig zu heben, denken Maske und sein Manager Sauerland längst weiter: Die Prüfung der Geschäftsgrundlage ist erfreulich verlaufen. „Das ist der beste Maske, den es je gab“, behauptet Sauerland in branchenüblicher Euphorie. Was wahr ist: Die Ellbogenoperation, nötig nach dem letzten Sieg gegen den Italiener Magi, ist folgenlos geblieben, der Körper funktioniert. Vier, fünf Jahre, glaubt Wolke, kann die nun dreißigjährige Quelle noch sprudeln , wenn man sie weiter vorsichtig ausbeutet.

An einen Kampf gegen Darius Michalczewski, den zweiten deutschen Weltmeister, denken weder dessen Manager Kohl noch Sauerland. Wer würde mutwillig das Geschäft zerstören? Doch nachdem nun selbst zwei der drei großen amerikanischen Boxbibeln Maske als Nummer 1 führen – nur The Ring hat Virgil Hill vorn – muß demnächst mal wieder ein richtiger Gegner ran. Sauerlands Plan: Im Februar zu Frankfurt erst noch einmal die Nummer-Sicher-Aufführung, dann aber im Mai wird tatsächlich mal was riskiert: der Kanadier Egerton Markus, in Seoul 1988 im Olympia-Finale dem NVA-Oberleutnant Maske unterlegen, kriegt eine Revanche.

Bis dahin wird „The pride of all Germany“, wie Staransager Michael Buffer präzise den nach Genscher erst zweiten deutsch-deutschen Superhelden betitelte, samt Frau und zweier Töchter nun endlich aus seinen 65 Quadratmetern Plattenbau aus- und in eine Jugendstilvilla am Rande von Frankfurt/Oder umlogiert. Dann wird man vielleicht ein bisserl rummachen, damit beim nächsten Mal wieder Orffs profane Gesänge („Carmina burana“) den Weg in den Ring bereiten. Das gregorianisch-angepoppte „Conquest of paradise“ des Griechen Vangelis ließ nämlich in Halle die großen Gefühle nicht richtig wachsen. Allerdings: 30.000 Mark will man beim Schott-Verlag für die zwei Minuten pro Kampf sehen. Was aber eigentlich nur konsequent ist, in einem Geschäft, in dem jeder schaut, daß er möglichst viel mitkriegt.

Um Maske (Kampfbörse: eine Million Mark) braucht man sich jedenfalls keine Sorgen mehr zu mahen, um den Lausanner Geschäftsmann Sauerland sowieso nicht. Selbst Iran Barkley dürfte, wenn der mutmaßlich gebrochene Kiefer geheilt ist, und er es denn tatsächlich in die geschwollenen Hände kriegt, von seinem Schmerzensgeld eine gewisse Zeit von fremden Wohnungen ferngehalten werden. Doch der Geschlagene hat sein Schicksal längst delegiert. „Ich boxe“, sagt er demütig andererseits, aber auch unbeschwert eigenverantwortungslos, „solange Gott mich läßt.“ Wir wissen nicht, wer der Herr des Iran Barkley ist: Doch wenn es denn ein guter Gott sein sollte, wird er den Kampf beenden, bevor die nächste Runde beginnt. Denn die könnte für den blinden Mann die letzte sein.

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