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Reine, verhaltene Brunft

Die Carpendales sind Flachleger, er dagegen zieht seine Kraft aus der Erotik: Udo Jürgens auf Tournee  ■ Von Jan Feddersen

Ausbrüche, die Kommentatoren gemeinhin als „leidenschaftlich“ beschreiben, bleiben aus. Dennoch kann man auch in der Braunschweiger Stadthalle an zwei Abenden bestaunen, wie einem Manne gehuldigt wird, der nichts weiter serviert als Musik. Hier und da ein paar entzündete Feuerzeuge, einige Schreie, aber Ekstase muß keine befürchtet werden: Das Feuer aber, das Udo Jürgens entfacht, auch wenn er nur kurz ein paar Takte aus „Aber bitte mit Sahne“ spielt, darf als hartnäckiges Lodern bezeichnet werden.

Der deutsche Meister im Popmetier, mit Millionen verkaufter Tonträger die würdige Entsprechung zum Franzosen Gilbert Bécaud, hat sie alle im Griff, die – meist älteren – Frauen im Cocktailkleid ebenso wie die jüngeren in der langen Designerrobe. Braunschweigs Mittvier- und -fünfzigerinnen haben sich schön gemacht für den gebürtigen Österreicher. Die Augen funkeln, manche bringen ihm Blumen zur Bühne. Und keine läßt er unerblickt, einigen küßt er die Hand, nie könnte es passieren, daß er deren Bouquets achtlos zur Seite legt, er könnte offenbar selbst im größten Gewühl noch singen: „Was ich dir noch sagen will“.

Ob es die Frauen aus Braunschweig sind, die in Schönheit strahlen, oder die aus Heilbronn, Lübeck, Delbrück oder Hannover: Allen gibt Udo Jürgens das Gefühl dazuzugehören. Vielleicht hat er einige von ihnen leibhaftig verführt, vor Jahren, als sie viel jünger waren. Weiß man nicht von Udo Jürgens, hat er nicht oft genug zugegeben, daß er Frauen verehrt und begehrt wie kein zweiter Troubadour im Lande? Ob er „Merci Chérie“, seinen Eurovisions-Siegerschlager aus dem Jahre 1966, intoniert, oder „Warum nur, warum?“ – Seine weiblichen Fans sind alle „Anouschkas“, dürfen sich fühlen wie sie, erobert und verzaubert. Und die Männer, Ehegatten zumal, schauen derweil zu: Udo Jürgens spendet Liebe, er nimmt nichts weg. Udo Jürgens ist das Objekt der Frauenträume aus den sechziger und siebziger Jahren, ein Appetitanreger.

Was in Deutschlands Stadt-, Fest- und Kongreßhallen noch bis Mitte Dezember aufgeführt wird, ist die reine, verhaltene Brunft, ein filigranes Buhlen, das mit sexueller Stimulanz viel zu nackt beschrieben wäre. Das Ambiente ist immer das gleiche: Udo Jürgens sitzt am Piano, das bei ihm aus Acryl gefertigt und von innen mit kleinen Glühbirnen versehen wurde. Die Lokalblätter schreiben von einem „Schneewittchensarg“, der auf der Bühne steht und vor sich hin illuminiert. So sieht es nämlich aus, wenn Udo Jürgens, der gerade Sechzigjährige, darauf spielt.

Wie kommt es aber, daß ein Mann, der 1934 im österreichischen Klagenfurt geboren wurde, und zwar als Sproß einer adligen Bauernfamilie, in Deutschland im Showbusineß die Nummer eins abgibt? Können nicht auch andere singen, vielleicht sogar besser tanzen als er?

Niemals mit dem Ellenbogen

Gibt es nicht Männer – wie Howard Carpendale beispielsweise –, die machohafter dastehen? Der Unterschied ist einfach zu benennen: Die Carpendales sind offenbar Flachleger, Ochsen auf Weibertour; Jürgens glaubt man trotz seines vorgerückten Alters auf der Stelle, es mit der Verführung noch genau, das heißt beidseitig, zu nehmen, seine Kraft aus der Erotik zu ziehen, nicht aus dem Akt selbst. Nie würde man von ihm eine obszöne, kraftmeierische Geste sehen, nie eine, die auf Kraft und Ellenbogenstärke setzt. Jürgens, der Schneewittchen-Guerillero, hätte, schmalbrüstig, wie er ist, damit eh keine Chance. Also nimmt er die Liebe beim Wort: „Du bist mein Geheimnis.“

Man muß seine Biographie „... unterm Smoking Gänsehaut“ lesen, um zu verstehen, warum ein Hänfling aus Kärnten, der 1951 noch unter dem Künstlernamen Udo Bolan auftrat und die ersten Jahre mit Coverversionen erfolgreicher Titel von Kollegen auftreten mußte („Der lachende Vagabund“), zum einzigen Weltklasse- Entertainer im deutschsprachigen Raum werden konnte: Jürgens' Geschichte liest sich wie eine voller Niederlagen, die aber nicht klischiert daherkommen, sondern offenbar wirklich Spuren des Siegenwollens hinterlassen haben. Udo Jürgens schreibt auch die Geschichte eines gutwilligen, antispießigen Kleinbürgers, der in einer zivilen Welt seinen Platz wollte – da bleibt kein Raum für Avantgardistisches.

Rebellische Posen waren schon am Anfang seiner Karriere nicht zu bemerken. Was er in den sechziger Jahren, als sein Aufstieg in die Champions League der Branche rapide an Tempo gewann, lieferte, war aber überdurchschnittliches Handwerk. Schon seine ersten Schlager („Siebzehn Jahr, blondes Haar“, „Und immer wieder geht die Sonne auf“) hoben sich vom Rest der Kollegenschaft ab.

Selbst nur knapp auf dem Klavier angeklimpert, waren diese Melodien erkennbar. Sound brauchten sie nie – obwohl Udo Jürgens ein genialer Arrangeur zudem ist. Und seine Stimme, keine Frage, hob sich vom Geröhre vieler Kollegen ab: Udo Jürgens deklamierte seine Schlager nicht, er interpretierte sie, was selbst in kalten Konzertsälen immer noch intim bis in die letzte Reihe des Parketts klang.

Während seiner diesjährigen Tournee spielt er sie alle an, die Erfolge der sechziger Jahre ebenso wie die der siebziger. Durch sie ist er reich geworden, wohlhabend. Kollegen, die das Attribut „Weltstar“ mehr oder weniger zu Recht tragen, haben seine Kompositionen gesungen: Caterina Valente, Sammy Davis jr., Shirley Bassey, Sarah Vaughan, Brenda Lee oder auch Jean-Claude Pascal. Das Einfache, das schwer zu machen ist: Jürgens stellt es her.

Er ist der einzige Showman hierzulande, der ohne Peinlichkeit älter geworden ist – und mit ihm sein Publikum. Gewiß, es finden sich auch jüngere, sehr schicke Frauen im Publikum, auch sie glänzen, als ob da vorne nicht ihr Großvater sitzen könnte: Udo Jürgens – eine Verheißung auf einen Ehemann, der sich nicht gehen läßt, ein Trost für die im Saal sitzenden Frauenanhängsel: mit Fünfzig muß nicht der Lack ab sein!

Wie zart er mit sich und seinen Leuten umgeht. Küßt die Musiker für ihre Unterstützung. Er gibt alles, schwitzt, tobt und feixt auf der Bühne: Das ist keiner, der die Kohlen aus dem Keller schaufelt, ohne sich dreckig zu machen: Udo Jürgens arbeitet auf der Bühne, ohne daß er hart aussieht.

Sozialliberales Schlagergewissen

Aber nur von Liebe zu sprechen im Zusammenhang mit Udo Jürgen Bockelmann, wie er bürgerlich heißt, den Erfolg nicht ganz erklären zu können: Er ist nicht umsonst in den sechziger Jahren zum Großen geworden. Er war die Antwort auf die Gerhard Wendlands und Peter Kraus' der Republik. Udo Jürgens kultivierte den Liedermacher im Gewande des Schlagersängers. Nicht so frech-jugendlich wie Peter Kraus, aber noch viel weniger so vom Nachkriegsschwulst umweht wie der Mann, der „Tanze mit mir in den Morgen“ im Tango- Rhythmus aufforderte.

Udo Jürgens war Pop als vorweggenommenes sozialliberales Schlagergewissen. Nicht radikal im linken Sinne, aber aufrecht, antispießbürgerlich. Er bewies nämlich Haltung selbst, indem er seinen zügellosen Hunger nach Sex frei auslebte und dies auch der Presse allzeit mitteilte. Seine Haltung darf als zivil bezeichnet werden. In den späten siebzigern begann er dies auch auf der Bühne zu formulieren: Antimilitärlieder („Lieb Vaterland“) sang er da oder auch solche, die die Heuchelei des Papstes en passant geißelte. Diese Platte wurde im Bayerischen Rundfunk nie gespielt: Aber hatte er das nötig, künftig Gehorsam schon beim Komponieren zu üben, Texte von Michael Kunze künftig besser zu prüfen? Er hatte nicht. Also attackierte er weiter, light aber heftig, mit „Ein ehrenwertes Haus“ oder, aktuell, mit „Café Größenwahn“. Also sang er weiter „Griechischer Wein“, ein Millionenhit, will von Udo Jürgens als Antirassismus-Schlager verstanden werden, „Aber bitte mit Sahne“ als ironischen Schienbeintritt gegen alles, was fettlebig daherkommt. Ob im „Jahr des Kindes“ 1979 mit „Die Blumen blühn' überall gleich“ oder „Fünf Minuten vor zwölf“: Udo Jürgens wollte nicht noch mit Fünfzig nur von Liebe singen. Sein Publikum, das soziologisch als sozialliberale Mittelschicht bezeichnet werden darf, die die Segnungen des mitteleuropäischen Kapitalismus gerne mitnimmt, aber für militärische, katholische Späßchen nicht zu haben ist, sein Publikum machte mit: Udo Jürgens ist im Grunde der Vater einer Protestkultur, die später massenhaft mit Lichterketten prominent wurde.

Im übrigen verzweifeln inzwischen selbst Bildungsbürger wie Michael Naura, beim NDR zuständig für das gehobene Tonträgergut (Jazz usw.). Er kann sich den Erfolg des Umjubelten nicht richtig deuten (wie wäre es denn mit dem „gewissen Etwas“, bietet die Säzzerin als Erklärung an?), schon gar nicht dessen musikalisches Vermögen. Also schlägt er ihn dem Jazzmilieu zu, wo Udo Jürgens eigentlich hingehöre. Gott sei Dank ist dies nicht passiert. Auch die zweite lobhafte, im Spiegel gedruckte Charakterisierung Nauras (dem mit seinen Radioprogrammen nie dieser Erfolg beschieden war und offenbar darunter leidet, daß ein Juwel wie Udo Jürgens sich partout nicht von Jazzologen vereinnahmen lassen will), Udo Jürgens verfüge über balls (Eier), mag stimmen. Ein endgültiges Urteil mag den Liebhaberinnen Udo Jürgens überlassen bleiben: In Braunschweig waren es alle, die im Saal saßen – eine Peep-Show wie aus dem Märchen, die nicht auf harte Eier setzte.

Udo Jürgens' größte Hits auf „Aber bitte mit Sahne“ (CD 2121553 2 BMG). Die Tournee dauert noch bis 16. Dezember. Auftreten wird Udo Jürgens bis dahin in jeder größeren Ansiedlung der Schweiz, Österreichs und Deutschlands. Nächste Auftritte: 10.10. Stade, 12.-15.10. Hamburg, 16.10. Wolfsburg, 17. und 18.10. Osnabrück

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