: „Die Art, wie er Kompetenz und Bescheidenheit verkörpert ...“
■ Der Politologe Andrei S. Markovits zu SPD und Rudolf Scharping
Seit den 80er Jahren lädt der „Deutsche Akademische Austauschdienst“ internationale AkademikerInnen und PublizistInnen, die sich mit Deutschland befassen, vor den Bundestagswahlen zu einer Beobachtungsreise ein. In diesem Jahr sind es 16 „WahlkampfbeobachterInnen“, die mit Personen des öffentlichen Lebens diskutieren oder Wahlkampfveranstaltungen besuchen (am Samstag etwa waren sie beim PDS-Kandidaten Stephan Heym). Die taz wird bis zur Wahl täglich ein Kurzinterview veröffentlichen. Heute: Andrei S. Markovits, Professor für europäische Studien im kalifornischen Santa Cruz, zu einer SPD-Veranstaltung in Ludwigshafen.
taz: Wie ist er denn nun, der Rudolf Scharping? Hierzulande stöhnen viele, er sei langweilig.
Andrei S. Markovits: Die Art, wie er Kompetenz und Bescheidenheit verkörpert, das gefällt mir. Charisma habe ich nicht so gerne. Beim Kohl finde ich eines nicht unsympathisch, daß er nämlich ein schlechter Redner ist. Scharping hat eine sehr gute Rede gehalten, eine freie Rede. Er sprach von Solidarität im guten Sinne, wie auf andere Rücksicht zu nehmen ist. Sicherlich sind die Unterschiede zwischen Sozial- und Christdemokraten marginal, aber in diesem Grundton sind sie entscheidend.
Was mir immer klarer wird bei all diesen Wahlbeobachtungsreisen, die ich schon seit 1980 mache: Das ist eine ganz andere Welt als die der CDU. Mir persönlich ist das viel sympathischer. Eine französische Sängerin mit einer deutschen Band, Konstantin Wecker singt italienisch, diese Internationalität gefällt mir. Die Betonung liegt ganz klar auf Frieden, Verständigung, auf Menschlichkeit, auf Solidarität. Eben nicht auf Stolz, Nation und Ordnung. Was ich in Europa bisher noch nie gesehen habe: Gestern wurde hier Scharpings Rede simultan für Gehörlose auf einem Videobildschirm gezeigt, das finde ich in Ordnung.
Wieso haben es die Sozialdemokraten so schwer gegen Kohl?
Regierungen, die für sich den wirtschaftlichen Aufschwung in Anspruch nehmen, haben es immer leichter. Ich bin überzeugt, keiner der anderen SPD-Kandidaten könnte es besser machen, kein Lafontaine und erst recht nicht Schröder. Ralf Dahrendorf hatte schon recht, als er sagte, daß es mit der Blüte der Sozialdemokratie nach 100 Jahren vorbei ist. Schauen Sie sich den deprimierenden Wahlausgang in Österreich an.
Der amerikanische Ethnologe scheint dennoch ganz zufrieden mit der Sozialdemokratie ...
Der amerikanische Ethnologe ja, der Soziologe auch, aber nicht der Politologe. Ich befürchte nämlich, daß die Regierungskoalition am Wochenende wieder gewinnen wird. Interview: Andrea Seibel
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