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■ 3. Oktober - eine NachleseTag der Un-Einheit

Der Festakt zum Tag der deutschen Einheit sei der Situation angemessen gewesen, die wir heute in Deutschland haben, hat gestern der SPD-Fraktionsvorsitzende Dittbrenner in der Parlamentsdebatte um den 3. Oktober erklärt. Eine würdige Veranstaltung, pflichtete Axel Adamietz (FDP) bei. Die politische Klasse hat ihre Reihen hermetisch fest geschlossen.

Ausgegrenzt bei diesem Festakt waren aber nicht nur die paar hundert Demonstranten. Ausgegrenzt war die Hälfte der Bevölkerung der ehemaligen DDR, die derzeit bei Wahlen aus Unzufriedenheit einfach „nicht hingeht“ oder PDS wählt. Daß ein Roman Herzog versuchen mußte, die Stimmungslage in den neuen Ländern zu formulierten, zeigte die Peinlichkeit: Die, mit denen diese Einheit geschlossen wurde, kamen nicht zu Wort. Jens Reich, Hans-Jochen Tschiche, Jürgen Fuchs, Wolfgang Thierse, einige kluge Leute aus der Opposition in der ehemaligen DDR gibt es, die an diesem Tag das Thema der deutschen Einheit aus Ost-Sicht zum Thema hätten machen können. „Irritationen“, nannte Herzog das Problem, „aber mit dem Erfolg werden auch diese Irritationen geringer werden...“ Das war die Einheitsfeier Westdeutschlands.

Ausgegrenzt war aber nicht nur die Hälfte der Deutschen aus den neuen Ländern. Es waren auch reichlich Bremer SPD-Politiker, die 1989/90 „mit Deutschland nichts anzufangen“ (Wedemeier 1994 über die Chaoten) wußten damals auf dem Berliner SPD-Parteitag und die gegen Willy Brandt gestimmt haben. Die Bremer SPD hat Oskar Lafontaine und den Widerstand gegen die Währungsunion unterstützt und war alles andere als begeistert über den Einheits-Termin 3. Oktober.

Die Bremer SPD hat ihre kritische Position von damals stillschweigend revidiert. Es hat deshalb nie eine Debatte in der Bremer SPD geben können, ob dieser Festakt heute so angemessen ist. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen haben kritische Diskussionsveranstaltungen im Vorfeld des 3. Oktober organisiert - die SPD hat dazu nicht den Mut gehabt. Mancher Genosse saß am 3. Oktober zu Hause mit dem bangen Gefühl, es könnten auch die eigenen Kinder sein, die da in Polizeigewahrsam genommen wurden. Die Einheits-Feier war von professionellen Werbeagenturen im Auftrag des Bundesrats-Präsidenten organisiert - daß die Bremer Sozialdemokraten hier richtig mitgemacht und mitgefeiert oder sich auch nur hätten wiederfinden können, kann man nicht sagen.

Von den Grünen ganz zu schweigen. Der selbsternannte Außenpolitiker Joschka Fischer hat die deutsche Zweistaatlichkeit mit Argumenten erklärt, die sich heute für eine - verbotene - Demonstration eignen würden.

Es gibt also nicht nur im Osten, auch im Westen noch viel zu bereden über diese deutsche Einheit, um sie wirklich herzustellen. Die Basis des Dialoges wird eher zerstört, wenn am „Tag der deutschen Einheit“ die offenen Fragen in die Illegalität verdrängt werden mit stromlinienförmigen Festakten.

Aber haben wir nicht Szczypiorski gehabt, den Festredner aus Polen, der eine gute, bedenkenswerte Rede gehalten hat. Ja, stimmt. Aber: Sollte das der Ersatz sein dafür, daß das Problem der Hälfte der Ostdeutschen mit der Einheit zur Sprache kommt? Der hat das Problem der Westdeutschen mit der Einheit angesprochen - nicht die West-Redner. Ein Mann, der aus der polnischen Geschichte kein Problem mit der nationalen Einheit hat, kommt als Ersatz dafür, daß die deutschen Probleme mit der nationalen Einheit angesprochen werden. Solange die deutschen Redner sich dem Thema dieses Tages verweigern, bleibt die wunderbare polnische Rede - Alibi.

Kein Wunder, daß diese Rede denjenigen nicht geholfen hat, die sich nicht wiederfinden konnten in diesem Festakt. Wer verhindern will, daß sie nur Objekt des Schlagstockes werden, darf sie nicht mundtot machen, sondern muß sie zu Wort kommen lassen.

Klaus Wolschner

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