■ Normalzeit: Keine Nacht ohne Drogen
Auf dem Weg vorm Fischerhütten-Imbiß am U-Bahnhof Krumme Lanke stand ein junger Mann und trampte. Wir nahmen ihn mit bis Dahlem-Dorf. Der 18jährige Azubi war nebenbei noch Hobbychemiker, der eine Weile Ecstasy selbst hergestellt hatte. Nunmehr dealte er nur noch. Uns bot er LSD, holländisches Turbo-Gras, Haschisch, Kokain, Ecstasy und zwei drei weitere Designerdrogen an, deren Namen ich nicht kannte. Beim Ecstasy offerierte er zusätzlich eine chemische Analyse. Ihm hatten sie schon mehrmals „reines Zeug“ angeboten, das dann aus „20 Prozent Speed, 70 Prozent Heroin und 10 Prozent Bindemasse“ bestand.
Es sei wichtig, die Zusammensetzung zu kennen, die Kids würden nämlich oftmals 10 bis 15 Dinger auf einmal „klinken“, nicht wie die Hippies und Bhagwanies nur eins, möglichst mit jemandem zusammen, um beim Vögeln einen neuen Kick zu kriegen. Wir kamen auf die Sexualität zu sprechen. Ein Thema, zu dem ihm jedoch nur wenig einfiel: „Das spielt doch keine Rolle mehr.“ Ich hielt das erst für Verklemmtheit, bis ich von Freunden, die Söhne beziehungsweise Töchter zwischen 17 und 20 hatten, erfuhr, daß diese ebenfalls alle mit Sexualität nichts mehr am Hut hatten. Dem einen hatte seine Tochter zum Beispiel nach einem halben Jahr sämtliche Präservative, die er ihr fürsorglich hingelegt hatte, mit der Bemerkung wieder zurückgegeben: „So was brauch' ich nicht!“ Die 17jährige Tochter von Bert Papenfuß, Leila, hat gerade, im neuen Sklaven (Nr. 2), ein Wörterbuch ihrer Szene zusammengestellt: Tekkno-Musik und Drogen – als Lebensgefühl. „Da kommt ja kaum Sexualität drin vor“, meinte Bert Papenfuß. „Ja, das ist eben so“, erklärte die Autorin. Dana, Mitherausgeberin von Rudi Stoerts Zeitschrift Warten, arbeitet neuerdings am Bungee-Jumping-Gerüst, Potsdamer Platz. Auch diese „Sportart“ dient den modernen jungen Menschen zur genitalen Entfixierung. Das geht bis hin zum „Eisenstemmen auf Monatskarte“ im Fitneß-Center.
Die Freundin des Dealers aus Zehlendorf, einem Bezirk, in dem schon seit über 20 Jahren die meisten illegalen Drogen genommen werden, erzählte uns später: Für sie sei diese ganze „Scheiße“ seit der sexuellen Revolution – „multiple Orgasmen, Partnertausch, Aidsgefahr, Kinderschändung, Prostitution, Pornographie etc.“ – ein „Problem“ ihrer Eltern, mit dem sie nichts zu tun haben wolle: „Da kommt nichts Gutes bei raus!“ Dann, nach einer Pause: „Aber du würdest wahrscheinlich sogar diese Mikro-Trips“, die sie mir sogleich in die offene Hand rollen ließ, „als Fick-Stimulans gebrauchen.“ Es klang wie „mißbrauchen“. Aber ihr „Use“ war auch nicht ohne Nebenwirkungen, wie uns dann ihr Freund erklärte: „Im vergangenen Jahr waren wir immer an der Krummen Lanke, aber da kamen dann die Türken hin. Und die haben uns oft das Zeug geklaut. Einer hat mich sogar mal mit einem Messer geschlitzt und mir 1.500 Trips abgenommen, die ich für eine Party dabeihatte. Das wurde da immer schlimmer mit den Türken. Jetzt sind wir deswegen meistens am Schlachtensee, da ist es ruhiger.“
Mit „Türkenproblemen“ hatten auch viele andere Söhne und Töchter von Freunden aus Ostberlin zu tun, die ebenfalls durch die Bank dealten, wenn auch oft nur, um ein bißchen nebenbei zu verdienen, nicht selten gleich bei den Eltern. Am eindrucksvollsten fand ich dazu die Geschichte von Ellen, einer ehemaligen FDJ- Hauptamtlichen, die mit ihrer Tochter und deren Freund sowie der Oma in ein bayrisches Ferienhaus gefahren war und dort „zwei Wochen voll durchgekifft“ hatte. Das Irrste war: „Die Oma hat die ganze Zeit am meisten geraucht!“ Von einer anderen Mutter erfuhr ich, daß die Kids massenhaft Heroin nehmen, in verschiedenen Formen: „Bei Ecstasy zum Beispiel wird in der Regel gesagt, dieses und jenes hat soundsoviel Anteil Heroin.“ Auch das Kokain, von mir als Autoverkäufer- und Springer-Journalisten-Droge schon längst abgetan, das sich früher viele auch gern auf die Genitalschleimhäute schmierten, sei immer mehr „im Kommen“. Es war wieder am Schlachtensee, wo ich einem Gespräch dreier junger Männer lauschte. Sie unterhielten sich über die Rezepturen und Wirkungen verschiedener Drogencocktails – und zwar stundenlang: „Kennst du das – zwei Amphetamine mit Bourbon und dann drei Purple Heart hinterher? Das kommt irre!“ Sie hechelten alle möglichen Kombinationen durch und ließen nicht einmal Äther und Hustensaft aus. Dabei machten sie, neben ihren Mountainbikes auf dem Rasen sitzend, den Eindruck, als seien sie mit ihren FU-Vorexamensnoten Muttis ganzer Stolz.
Aber wer weiß, vielleicht gaben die Mütter ihren Sprößlingen mittlerweile selbst noch manch wertvollen Tip, vom Hausarzt etwa, mit auf deren Experimentierweg. Sollten die Kids aus den von Camel, Philip Morris und Angela Merkel gebashten „Designerdrogen“ möglicherweise mehr herausholen, als einst in sämtliche sexuelle Befreiungsbewegungen hineingeheimnist worden war?! Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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