: „Journalismus, der vor dem letzten Dreck nicht halt macht“
■ Erste Runde im Schmerzensgeldprozeß zwischen GALier Peter Mecklenburg und Fernsehsender SAT 1
Erster Schlagabtausch vor dem Zivilgericht im Widerrufs- und Schmerzensgeldprozeß des GALiers Peter Mecklenburg gegen die Macher der SAT 1-Sendung „Einspruch“. Während Presserichter Harald Ficus den Fall durch einen Vergleich aus der Welt schaffen wollte, fürchtet SAT 1 um den Ruf ihres „besten Moderators“ Ulrich Meyer und möchte offenkundig das Verfahren mit einer weiteren „Enthüllungs“-Kampagne gegen den GAlier durchziehen.
Für Ficus ist der Sachverhalt klar: „Man hat an sich selten eine so schöne Form des Zueigenmachens.“ Gemeint ist die Formulierung von „Einspruch“-Moderator Ulrich Meyer in seiner Sendung über Bahnhofskinder im September 1993. Damals hatte Meyer die Anschuldigung des Hamburger Strichjungen Pico, GALier Peter Mecklenburg wäre sein „Freier“ gewesen, so kommentiert: „Das haben wir gegengecheckt. Das hat sich bestätigt.“
Pico war damals von dem umstrittenen „Crash-Kid-Papa“ Helmut Behnel zur Sendung mitgebracht worden, der damals als Diskussions-Gegner Mecklenburgs auftrat. In der Werbepause der „Einspruch“-Sendung soll Pico plötzlich diesen Vorwurf geäußert haben. Die „Einspruch“-Macher führten dann ein mysteriöses Telefonat mit Hamburger Behörden, was ihnen als Bestätigung ausreichte. Pico konfrontierte daraufhin den unvorbereiteten Mecklenburg vor laufenden Kameras mit seiner Anschuldigung.
Einige Monate später nahm Pico diese vor der Polizei zurück und behauptete, er sei damals „breit gewesen“ und hätte Geld für seine Aussage bekommen. Richter Ficus vorwurfsvoll: „Warum wurde der Betroffene nicht mit dem Vorwurf konfrontiert. Was ja in den 20 Minuten der Sendung vielleicht auch möglich gewesen wäre?“ SAT 1-Anwältin Gisela Wild kleinlaut: „Ich find es auch nicht glücklich, daß er den Mecklenburg nicht befragt hat.“ Ficus weiter: „Das gehört aber zum Einmaleins des Journalismus.“ Pico selbst kann nicht mehr gehört werden, er starb im Frühjahr an einer Überdosis.
Daher unterbreitete die Landgerichtskammer einen Vergleichsvorschlag: SAT 1 solle sich in der nächsten „Einspruch“-Sendung von der Pico-Aussage „distanzieren“, Bedauern äußern und 20.000 Mark Schmerzensgeld an Mecklenburg und eine gemeinnützige Einrichtung zahlen.
Mecklenburgs Rechtsanwalt Gerd Strate stimmte diesem Vorschlag zu. Es sei in dem Verfahren nie um Geld gegangen, sondern um Mecklenburgs Rehabilitierung und darum, so Strate, „daß solche Formen des Journalismus nicht einreißen, die vor dem letzten Dreck nicht halt machen“. Im Konkurrenzkampf der Medien seien skrupellose Programmacher nur dann zu stoppen, so Strate weiter, „wenn es richtig Geld kostet“.
Doch SAT 1 möchte einen journalistischen Tiefflug partout eingestehen. SAT 1-Anwältin Wild heizte gestern die Neugier der Journalisten mit wiederholten Andeutungen über neue, „unappetitliche“ Anschuldigungen aus einer Ermittlungsakte an. Was jedoch verschwiegen wurde: Die in der Akte erwähnten Strichjungen haben ihre Polizei-Aussagen vor der Ermittlunsrichterin widerrufen. Der letzte verbliebene – noch nicht vernommene – Belastungszeuge wurde von „Einspruch“-Programmchef Alexander Schuller persönlich ausfindig gemacht. Bevor dieser seine Aussage machte, hatte Schuller im Knast eine Stunde lang mit ihm gesprochen. Das Zivilgericht will nun diese Ermittlungsakte hinzuziehen, vielleicht sogar das Verfahren bis zum Abschluß sämtlicher Ermittlungen aussetzen. Ein Ende der Schlammschlacht ist also nicht in Sicht... Kai von Appen
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