: Demokratische Einzelbehandlung
■ Wahlkampfendspurt im Bremer Westen mal anders: Findorffer Gespräche
“Also ich zähle jetzt einfach ab: eins – zwei – drei – vier.“ Wolfgang Konukiewitz geht durch die Reihen im Gemeindesaal der Martin-Luther-Gemeinde, als wäre er beim Konfirmandenunterricht. Alle Besucher mit der eins können im Gemeindesaal bleiben, für zwei drei und vier sind jeweils ein anderer Raum vorbereitet worden. Aber von Konfirmandenunterricht kann keine Rede sein. Was sich am Mittwoch abend im Findorffer Gemeindesaal abgespielt hat, das war eine der ungewöhnlichsten Wahlveranstaltungen. Wenn woanders die ParteienvertreterInnen vor dem eigenen Klientel große Reden schwingen oder ihre GegnerInnen auf immergleichen Podien immergleich anpflaumen dürfen – in der Martin-Luther-Gemeinde werden sie in demokratische Einzelbehandlung genommen. Die ZuhörerInnen werden aufgeteilt, jeder der vier Kandidaten hat zwanzig Minuten pro Gruppe, dann muß er weiter tingeln – er, denn im Bremer Westen kandidieren nur Männer. Und leicht haben es die vier von den großen Parteien nicht. Die Gemeinde hat geübt. Die „Findorffer Gespräche“ sind schon eine Insititution. Immer wieder lädt die Gemeinde ein, über soziale Gerechtigkeit nachzudenken.
Von ganz jungen bis ganz alte, ein gutes Dutzend Menschen wartet auf den ersten Kandidaten. Und sie bekommen gleich den Top-Favoriten für den Bremer Westen zugelost: Konrad Kunick, ex-Bausenator, ex-SPD-Landesvorsitzender. Niemand in der Stadt, der nicht von einem Direktmandat für Kunick ausgeht. Es ist zwar gerade die traditionelle SPD-Wählerschaft, die in den letzten Jahren weggebröckelt ist – oft genug nach ganz rechts – aber im Bremer Westen hat es für die Sozialdemokraten immer noch für ein Direktmandat gereicht. Noch dazu, wo der notorisch bescheidene Kandidat zum West-Publikum perfekt zu passen scheint.
Alles Kaffeesatzleserei? Von der Volksverbundenheit war am Mittwoch nichts zu spüren. Die Fin-dorffer erlebten einen hölzernen Kunick, einen, der sich in weitschweifigen volkswirtschaftlichen Erklärungen erging – dabei ging es doch um sozialdemokratisches Herzblut, um die Sozialpolitik. „Wie haltet Ihr es mit einem, der vor Eurer Tür liegt? Das ist für mich schon eine wichtige Frage.“ Viel konkreter wollte der sozialdemokratische Spitzenmann lieber nicht werden, da konnten die FindorfferInnen nachbohren, so viel sie wollten. Wie seine Partei in Bonn für mehr Arbeitsplätze sorgen wolle? „Es muß einen neuen Konsens geben, daß wir mehr Arbeitsplätze brauchen.“ Da müssen die FragerInnen lange fragen, bis wenigstens Standart-Stichworte wie Arbeitszeitverkürzung und Beschäftigungsgesellschaften kommen. Aber über allem wabert der Nebel .
Da hatte Magnus Buhlert von der FDP mehr zu bieten. Ein forscher junger Mann, und wenn Kunick zwanzig Minuten im Unkonkreten blieb – Buhlert hatte konkrete inhaltliche Vorstellungen zur sozialen Gerechtigkeit, das heißt eine konkrete Vorstellung. Das „Bürgergeld“. Daß das im FDP-Programm steht, „dafür habe ich mit den Jungen Liberalen gesorgt.“ Bürgergeld, das ist die FDP-Variante der Grundrente. Es soll vom Finanzamt kommen und alle anderen Sozialleistungen ersetzen. Wenn was dazuverdient wird, reduziert sich das Bürgergeld um einen Teil des Zuverdienstes, aber nicht um alles, wie bei der Sozialhilfe. Das war den FindorfferInnen aber drei Nummern zu programmatisch. „Warum soll ein Steuerfachgehilfin die FDP wählen“, wollte einer wissen. Und ob die FDP möglicherweise daran denkt, mal das Spitzeneinkommen zu begrenzen. Buhlert: „Es muß Leute geben, die viel verdienen.“ Für den jungen liberalen Aktivisten war das nicht gerade ein Heimspiel. Skeptische Blicke konnte er ernten – bestenfalls. Der nächste bitte.
Im Gemeindesaal fühlte sich der Grüne Arendt Hindricksen als gelernter Theologe schon eher heimisch. Möglicherweise war das aber auch der Grund, wieso er gar nicht mehr aufhören wollte, als er seinen Lebenslauf erzählte. Dann aber sprach ganz der Regierungsanwalt der Ampel. Warum die Grünen dabei mitgemacht hätten, als die Sozialhilfe in den vergangenen beiden Jahren nicht angepaßt worden sei, wollte ein Mann wissen. „Da sind die Grünen besonders empfindlich“, sagte Hindricksen, aber schließlich müsse Breme das Sanierungsprogramm erfüllen. Die finanziellen Spielräume werden enger, überall, davon kann Hindrcksen als Mitglied im Koalitionsausschuß ein Lied singen. Versprechen wollte er Grüne nichts, was beim Regieren herauskomme, das sei „immer ein Ausdruck des Kompromisses.“ Immerhin, Ergänzungsabgabe und Arbeitszeitverkürzung (“Bei vollem Lohnausgleich wir aber nicht gehen.“) – ein paar Punkte aus dem grünen Sozialprogramm fielen ihm dann doch noch ein. Allzu kritisch waren die FragenerInnen nicht gestimmt, gnädiges Christenvolk.
Da ging es Günther Niederbremer von der CDU ganz anders. Die FDP hatte durch das Bürgergeld verblüffen können, über der CDU regnete sich nun der heilige Zorn auf jede Kürzung im Sozialbereich ab. Und der Kandidat hielt dagegen: Daß die soziale Schere auseinandergegangen sei, daß es eine Umverteilung auf Kosten der Armen gegeben habe, das bestritt Niederbremer schlankweg. Seit 1982 sei die Sozialhilfe stärker gestiegen als die Einkommen aus unselbständiger Arbeit. „Alles in allem macht die Sozialhilfe 2.700 Mark für zwei Personen. Da muß man erstmal gegen anarbeiten.“ Und sowas hörten die FindorfferInnen besonders gerne. Bei Niederbremer verharzte sich die Atmosphäre spürbar.
Am Ende der Runden kamen alle BesucherInnen und alle Kandidaten nochmal zusammen, und der Pfarrer stellte zum Abschluß eine gemeine Schlußfrage an alle. Was sie denn nun konkret tun wollten für die soziale Gerechtigkeit, wollte er wissen, „wonach wir Sie in einem Jahr auch fragen können.“ Konrad Kunick wollte das machen, was er ohnehin schon macht: Betreuung von Entwicklungshilfeprojekten. Günter Niederbremer wollte weiterhin wie jedes Jahr Jugendliche in einem Sommerzeltlager betreuen. Und Magnus Buhlert wollte weiter Mahner in der FDP sein, und „ich komme aus der kirchlichen Jugendarbeit und ich mache sie jetzt.“ Nur den Grünen haute es aus der Kurve. Hindricksen sagte, er wolle sich in der innenpolitik engagieren gegen die Ausgrenzung von Minderheiten. „Nein, etwas, was man konkret nachfragen kann“, bohrte der Pfarrer. Hindricksen: „Die politische Mitte muß bearbeitet werden.“ J.G.
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