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Elektronik gegen Lochkarte

■ In den Berliner Stadtbibliotheken geht es noch etwas altertümlich zu / Bis zum Jahr 2000 sollen sie auf EDV umgerüstet werden, doch die Finanzierung ist teilweise ungeklärt

Der Herbst kommt, die Leselust steigt. Wer nicht das nötige Kleingeld hat, um sich den Winter über ausreichend mit Lesestoff zu versorgen, der geht in eine der 225 Berliner Stadtbibliotheken. Neuberliner sind dann oft verwundert: Im Gegensatz zu westdeutschen Technikstandards geht es in Berliner Bibliotheken eher altertümlich zu.

Die Westbezirke der Stadt bieten das seit über 30 Jahren bewährte System der sogenannten Fotoverbuchung: Eine nummerierte Lochkarte wird in die dafür vorgesehene Buchlasche gesteckt und dies zusammen mit dem Benutzerausweis kopiert. Die Lochkarten werden nach Rückgabe wieder sortiert und mit den Fotokopien verglichen, so können säumige Benutzer identifiziert werden. Abgesehen von dem großen Arbeitsaufwand hat das System einen Hacken: Es kann nicht festgestellt werden, wann ein Buch zurückkommt. Ebenso unmöglich ist es, den Bibliotheksbenutzer bei seiner Büchersuche auf andere Bibliotheken als die des Bezirkes zu verweisen – es existiert kein Gesamtkatalog.

Mit dem gleichen Problem schlagen sich auch die Bibliotheken der Ostbezirke herum. Auch sie sind nicht untereinander vernetzt, und ihr System der Karteikärtchen – die Buchkarten werden einfach hinter dem Benutzernamen eingeordnet – ist ebenso zeitaufwendig wie uneffektiv.

Doch das soll sich alles ändern. Im nächsten Jahr beginnt in Wedding, Hohenschönhausen und Mitte die Umstellung der Bibliothekstechnik auf EDV. Bis zur Jahrtausendwende sollen alle Stadtbibliotheken der 23 Bezirke auf den „Weststandard“ gebracht werden. 24 Millionen Mark sind dafür vom Senat gebilligt worden, doch das Geld langt nur für die Einführung der EDV, also die Anschaffung der Geräte und die Installation der Nutzer- und Mediendaten. Von den Bezirken müssen die notwendigen Umbauten und das neue Mobiliar finanziert werden. Und das, befürchtet Petra Hätscher vom Bibliotheksamt in Kreuzberg, könnte auch die gesamte EDV-Einführung zum Kippen bringen.

Die drei Bezirke, die als erste umgestellt werden, haben natürlich ihren Haushalt für 1995/96 bereits verplant. Die kostenaufwendigen Umbauten, die vor allem im ersten Jahr anfallen, können sie nicht finanzieren; sie verlangen vom Senat, auch diese Kosten zu übernehmen. Falls dies nicht passiert, könnten die Berliner Bibliotheken die Chance verpassen, sich den internationalen Standards anzugleichen.

Auch die Personalsituation ist alles andere als rosig. Nachdem 1991 bereits in ganz Berlin 109 Stellen gekürzt wurden, wurde mit Hilfe von Unterschriftenlisten und Demonstrationen 1992/93 ein weiterer Stellenabbau verhindert. Doch ganz ausgestanden ist die personelle Krise nicht. Zwar dementierte Kultursenator Roloff- Momin in der taz, daß 300 Stellen gekürzt werden sollen, doch im Zuge der Verwaltungsreform ist vorgesehen, den einzelnen Bezirken einen Etat zuzubilligen, von dem diese Stellen wiederum bereits abgezogen sind. Wo die Stadtbibliotheken dann im Rahmen des Budgets die Kürzungen vornehmen, bleibt ihnen beziehungsweise dem Bezirk überlassen, der dafür bei der VHS, den Musikschulen oder Jugendfreizeiteinrichtungen kürzen muß.

Marion Höppner, Vorsitzende des Vereins der Bibliothekare an Öffentlichen Bibliotheken, plädiert dafür, den Stellenabbau zumindest so lange zu verschieben, bis in den Stadtbibliotheken die EDV eingeführt wurde. Ihre Kollegin Hätscher von der Kreuzberger Stadtbibliothek zweifelt daran, daß es überhaupt sinnvoll wäre, Stellen zu kürzen: „Wir sollten lieber die freiwerdenden Kapazitäten nutzen und unsere Serviceleistungen verbessern, zum Beispiel die Öffnungszeiten wieder erweitern.“ Für sie ist wichtig, daß in Bibliotheken nicht nur Bücher ausgeliehen werden, sondern auch ein Raum für Begegnungen und Erholung geschaffen wird. Ihr Traum einer Bibliothek wäre ein großes, geräumiges Gebäude „mit großen Glasfenstern, damit jeder sieht, was in den Regalen steht und Lust bekommt, einfach mal reinzuschauen“. Elke Eckert

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