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Nichtschwimmer mit Mach-Karriereschub

■ Joe Cocker live in der Sporthalle

Der Prolog: Lange schwankende Haare, Karohemden und ein versuchsweise heiserer Sänger – schließlich galt es ja Joe Cocker zu supporten – eröffneten das Schauspiel: Die Frankfurter Hands On The Wheel spielten soliden Midtemporock und boten den Anschein einer Schülerband, die zuviel Fleetwood Mac und Foreigner und zuwenig AC/DC gehört hat. Mit originellen Gute-Laune-Kommandos wie „Hamburg, wollt Ihr tanzen?“, „Wollt Ihr singen?“ oder „Hamburg wollt Ihr Party machen?“ verwirkten sie ihren Auftritt. Denn Hamburg wollte weder singen noch tanzen noch „Party machen“. Zumindest noch nicht.

Das Drama: Das änderte sich schlagartig, als ein von Mitleid getragenes kleines Männchen die Bühne betrat und sich krächzend durch seine 08/15 bluesig-souligen Rocknummern schwitzte. In bekannter Manier rang Joe Cocker spastisch Arme und Hände und sprang nach jedem zweiten Song ein wenig in die Höhe wie ein Nichtschwimmer in den Strandwellen der offenen See. Die alte Jaggersche Rock & Roll-Maxime „It's not the song, it's the singer“ ist wohl die einzige Erklärung dafür, daß man Joe Cocker nicht grundsätzlich verdammt. Sein herzerweichendes Geheimnis ist das ungeschminkte Pathos, das er jeder Zeile beimengt, auch wenn die Komposition noch so schnöde ist.

Nicht zuletzt heuer widerfuhr dem 50jährigen Woodstockveteranen mit dem Riesenerfolg von Have A Little Faith ja noch einmal ein richtiger Mach-1-Karriere-schub. Und „Summer In The City“ ist nun auch wirklich ein schönes Lied. Allerdings ist schon der Follower „Simple Things“ so öde wie ein Tag im Entzug.

Bei „Unchain My Heart“ mutierte der Fan-Block mit dem Durchschnittsalter Vierzig dann endgültig in ein überschäumendes Tanz- und Klatsch- und Mitsingtreffen, wie bei deutscher Volksmusik.

Der Epilog: Das Schlußwort soll einem hier gestrandeten Ehepaar gehören, das bei dem unvermeidbaren „With A Little Help From My Friends“ bemerkte: „Das Original ist eben doch viel, viel besser als die Version von den Beatles.“

Benjamin von Stuckrad-Barre

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