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Verlorene Generation & verzankte Generäle

■ Hamburgs SPD sehnt sich nach neuen Mamas und Papas Auf der Suche nach integrierenden Führungspersönlichkeiten Ein Psychogramm der Sozialdemokratie Von Florian Marten

ie tiefe Sinn- und Orientierungskrise der Hamburger Sozialdemokraten ist durch die Bundestagswahl nicht gerade gelindert worden. Im Gegenteil: Ratlos suchen die Hamburger Genossen nach Auswegen, „dem zu breiten Spagat einer in die Mitte gedrückten SPD“, so Jörg Kuhbier, zu entkommen. „Schärfere Abgrenzung“, Profilierung durch Inhalte, so hofft der Landesvorstand, könne das Problem meistern. Nur: Welche Inhalte? Welches Profil? Ökosteuer oder Elbtunnel? Hafenerweiterung oder ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft? Transrapid oder sanfte Technologie? AKW Krümmel oder Schutz des Lebens?

“Scharping“, so meinen denn auch selbstkritische Geister im SPD-Landesvorstand mit ironischem Unterton, „ist die präzise Verkörperung von Inhalt und Profil der heutigen SPD.“ Der Spagat einer zwischen Reform und „Weiter so!“ unentschiedenen SPD wird vom Führungspersonal der SPD leibhaftig vorgeführt. Gerade in Hamburg ist der Zusammenhang von Profil-, Sinn- und Personalkrise besonders kraß. Seit inzwischen fast 20 Jahren werkeln im rechten und linken Lager dieselben Akteure. Die linken Ex-68er und die Wandsbek/Mitte-Connection haben sich zwar bis heute brav durchgewurstelt – die SPD blieb an der Macht –, sind aber furchtbar müde und ausgelaugt. Profil, handfeste Inhalte und eine neue Politik, so meinen politische Beobachter, sind ohne neue Köpfe wohl kaum zu schaffen. Rechts und Links eint die Sehnsucht nach Sinn und Integration stiftenden Polit-Mamas und –Papas.

abei sind die Linken in Hamburg in den 70er Jahren noch so mutig und optimistisch aufgebrochen. Die SPD erst unterwandern, dann übernehmen – und kein Hamburger Kaufmann wäre seiner Villa im Tessin mehr sicher gewesen. Doch, wo sind sie heute angekommen, die 68er-Jusos? Eine klitzekleine Auswahl: Traute Müller, zurückgetreten, Walter Zuckerer, müde und zynisch in der Wirtschaftsbehörde versackt, Kurt Wand, als Stasi-Spion im politischen Abseits, Leonhard Hajen, konventioneller Anti-Universitäts-Senator, Werner Loewe, erfolgloser SPD-Generalsekretär, Wilma Simon, eingemauert in den Türmen der Sozialbehörde an der Mundsburg, Ortwin Runde, possenreißender Finanzsenator, Jürgen Mantell, biederer Planungsbürokrat in der Stadtentwicklungsbehörde, Dorothee Stapelfeldt, vergrätzte Noch-immer-nicht-Wissenschaftssenatorin, Helgrit Fischer-Menzel, Voscheraus Darling und fleißige Sozialsenatorin ... das Einkommen ist zwar auskömmlich, doch die Träume von einst sind tristem Überlebensalltag gewichen.

Eine vielleicht schon verlorene Generation, die sich heute zwar stolz rühmt, endlich die Mehrheit in der Partei zu haben, aber klaglos einräumt, daß davon politisch recht wenig zu spüren ist. Aufgerieben im Kampf gegen das zähe, oft bösartige rechte Parteiestablishment und im Stich gelassen von einem großen Teil ihrer Generation, die entweder Politik verachtet oder grün infiziert ist, sind den linken Sozis Selbst- und Sendungsbewußtsein so ziemlich abhanden gekommen. Es fehlt ihnen nicht nur an Power, Ideen und Konzepten, sondern vor allem an Menschen, die nach innen wie außen für ein zukunftsweisendes Bild erneuerter sozialdemokratischer Politik sorgen könnten.

Mamas und Papas haben die linken Sozis in den letzten Jahren genug ausprobiert: Ob Ortwin Runde, Traute Müller, Helmuth Frahm oder jetzt Jörg Kuhbier – keiner hat's gebracht. Einer hätte zwar gekonnt, durfte aber nicht: Ex-Sozialsenator Jan Ehlers, lange Zeit einer der klügsten und klaren SPD-Köpfe in Hamburg, wollte nach dem Abgang Dohnanyis im Jahr 1988 Partei und Bürgermeisterposten übernehmen. Format und innere Stabilität hätte er zwar mitgebracht – doch die Linke verweigerte ihm die Gefolgschaft, denn sie wagte die Entscheidungsschlacht gegen die Parteirechte nicht. Heute ist Jan Ehlers ein leicht bitterer Parteistratege, der sich zwar erfolgreich um die Machtmehrung des linken Lagers müht, neben seinen Visionen aber auch den Kontakt zur Welt außerhalb von SPD und Rathaus weitgehend verloren hat.

Käme jetzt plötzlich der Tag, an dem die alte rechte Garde, die Wandsbek-Connection, sich auf ihre Senats- und Filzpensionen zurückzieht, und damit den Linken zuriefe: „Springt!, Jetzt seid Ihr dran!“ – die armen Linken würde es in Verwirrung und – ziemlich wahrscheinlich – in heftigen Postenstreit stürzen. An diesem jämmerlichen Bild, bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, hat sich bis heute nichts geändert. Schon damals hätte es nur eines kleinen Schubses bedurft, um die Wandsbeker Garde vom Sockel zu stoßen – doch die Kraft hat nicht gereicht. Ist die Zeit für den Wechsel immer noch nicht reif, wie es die linken Strategen in ihrem altehrwürdigen Övelgönner Kreis behaupten, oder ist die Zeit für jede Art von Wechsel schon längst vorbei? Die gealterten Möchtegern-Reformer könnten sich, Markenzeichen jeder „lost generation“, ganz urplötzlich in der Recyclingtonne der Geschichte wiederfinden.

ie selbstbewußt und stolz regierten sie doch in den 70er Jahren – die SPD-Generäle aus Wandsbek. Sie hatten die Macht, eine prall gefüllte Stadtkasse und Visionen, bei deren Realisierung sie keine Gnade mit Natur und Stadtbild kannten. Doch heute, welche Tristesse: Die Macht bröselt, die Visionen sind futsch. Zwar sitzen die Voscheraus und Elstes noch fest im Sattel, doch ein Gutteil ihrer alten Weggefährten ist weg vom Fenster oder in Pension. Um den Nachwuchs ist es schlecht bestellt. Von den neuen rechten Jusos, in der Mehrzahl recht eklige Karriere-Pakete, die selbst ihren Wegbereitern auf den Keks gehen, drängt sich niemand auf. So werden die Thronerben unter den Kandidaten im reiferen Alter gesucht. Aber bitte: Ein Günter Elste Bürgermeister? Ein Holger Christier Fraktionschef? In ihrer Verzweiflung hofieren sie sogar den Karriere-Technokraten Fritz Vahrenholt, auch als Umweltsenator bekannt, ein frisch adoptiertes Ziehkind, das schon brav an der müden Wandsbeker Brust nuckelt.

Dabei: Was hatten die Wandsbeker Polit-Generäle einst nicht alles vor! Sie träumten von einem Hamburg aus Stahl und Beton, in dem glückliche Facharbeiter-Familien ihre Kinder in glücklichen Berufsschulzentren zu glücklichen Atomstromverwertern ausbilden sollten, die dann bis an ihr Lebensende in glücklichen Sozialwohnungsburgen, echt Neue Heimat eben, glückliche SPD-Politiker wählen würden. Wahre Visionäre, die Weichmanns, Pawelczyks, Kerns und Weilands: Das Schmutznest St.Pauli und Ottensen plattsaniert, St. Georg und Karoviertel ausradiert. Autobahnschneisen durch die City, ein Kranz von Büro-Betonsilos um die Innenstadt, Cuxhaven eine Industriekloake, Neuwerk ein Tiefseehafen, Kaltenkirchen ein Helmut-Schmidt-Airport ...

Den Keim der Krankheit in diesen stolzen Männerherzen säten nicht etwa die Juso-Wühlmäuse, sondern der Gang der Dinge: Die Ölkrise, das offenkundige Scheitern der Helmut-Schmidt-Visionen, die bittere Erfahrungen, daß ökologische Wachstumskritiker Recht hatten, brachten ein Weltbild zum Einsturz. Und mehr noch: Seither sind Hamburgs SPD-Generäle Pappkameraden, innerlich hohl.

Kein Wunder, daß ihr oberschlauer Adjudant Voscherau, 1988 zum Feldmarschall befördert, den Boomtown-Rausch nach der Einheit benutzen wollte, um diese Sinnkrise zu beenden. Wie einst in den 60er Jahren sollten rechte Sozis Hamburg mit Stahl und Beton Sinn und Zukunft geben. Voscherau, seine ständigen Wählerbeschimpfungen belegen das, hat die historische Lektion des Club of Rome bis heute nicht begriffen. Mit Straßenbau, Großprojekten, Transrapid, Hafensubvention und Sozialwohungen auf der grünen Wiese lassen sich weder Wirtschafts- noch Sozialprobleme lösen. Die Wählerinnen wissen das besser als ihr Bürgermeister und verweigern ihm standhaft absolute Mehrheiten.

etzt, wo auch die Machtbasis bröckelt, haben die Pappkameraden ihre traditionelle Gelassenheit verloren. Der Eklat bei der Wahl des Parteivorstandes, als die SPD-Rechten in bester Kindergartenmanier bockten und ihre Mandate zunächst nicht annahmen, weil eine Kungelabsprache zu ihren Gunsten nicht funktioniert hatte, zeigte selbst Außenstehenden, wie weit die innere Zerfall bei den Rechten vorangeschritten ist. Und sogar Nestwärme und Solidarität gehen perdü. Dabei bedeuteten diese Markenzeichen rechter Parteisozialisation doch immer einen wichtigen Vorsprung gegenüber der Kälte und intriganten Häme, die das linke Lager bis heute kultiviert.

Politisch wie psycholgisch überaus spannend ist das Hauen und Stechen um den Stahlfilz bei den Hamburger Stahlwerken. Mit dem versuchten Rufmord an ihrem Kumpel Weiland und dem Versuch, die Stahlwerke loszuwerden, bemühen sich die rechten Rathausgeneräle, ihre Vergangenheit auszulöschen. Dieser Suizidversuch an Teilen des eigenen Ich ist ein hochdramatisches Krankheitszeichen. Da distanziert sich ein Günter Elste heute im persönlichen Gespräch heftig von den Herren Pawelczyk, Lange und Weiland, da läßt ein Henning Voscherau nichts unversucht, seine politischen Ziehväter zu demontieren. Die Profilneurose kippt in die Politpsychose mit leicht paranoiden und schizoiden Zügen.

Selbst Mao dse Dong warnte schon in seinem wegweisenden Traktat „Über die Praxis“ von 1937: „Nur die gesellschaftliche Praxis der Menschen ist das Kriterium für den Wahrheitsgehalt ihrer Erkenntnis der Außenwelt. In der Tat wird ihre Erkenntnis erst dann als richtig bestätigt, wenn die Menschen im Prozeß der gesellschaftlichen Praxis die von ihnen erwarteten Ergebnisse erzielt haben.“ rme SPD: Wahlergebnisse, Politkverdrossenheit und Medienecho befördern so mitnichten die Erkenntnis, sie wirken krankheitsverschärfend. Therapie tut not, doch weder Couch noch die dringend benötigte mütterlich-väterliche AnalytikerIn mit der erforderlichen Lizenz zur Sinnstiftung sind in Sicht.

Schade.

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