: „Nur nichts gefallen lassen“
■ Vor 100 Jahren wurde Fiete Schulz geboren / Aus dem Leben eines Hamburger Widerstandskämpfers, der von den Nazis hingerichtet wurde Von Bernhard Röhl
„Der Hamburger Arbeiterführer Fiete Schulz, auf dessen Namen die DDR übrigens eines ihrer Schiffe getauft hat, schrieb vor seiner Hinrichtung im Juni 1935 in einem Abschiedsbrief an seine Schwester: ,Du haderst mit den Verhältnissen, die Dir den Bruder nehmen. Warum willst Du nicht verstehen, daß ich dafür sterbe, daß viele nicht mehr einen so frühen und gewaltsamen Tod zu sterben brauchen? Noch ist es nicht so, doch hilft mein Leben und Sterben es bessern.'“
Worte eines deutschen Bundespräsidenten, Worte über den Hamburger Antifaschisten Fiete Schulz. Dr. Gustav Heinemann sprach am 20. Juli 1969 über die Erhebung der Offiziere gegen das Hitlerregime. Dieser Tag sei ein Anlaß, aller Widerstandskämpfer zu gedenken, denn: „Die Widerstandskämpfer, die nur mit einem Anschein von Justiz einfach niedergemacht wurden, fragen uns, ob wir gegen antidemokratische Geistesrichtungen immun bleiben, ob wir den Geist der ruhigen Vernunft in der Politik bewahren, ob wir Recht und Gerechtigkeit gegen jedermann obwalten lassen.“
Fiete Schulz war einer dieser Widerstandskämpfer gegen die Nazis. Vor 100 Jahren, am 22. Oktober 1894, kam er in Schiffbek im Hamburger Osten auf die Welt. Nach dem Schulbesuch lernte er den Beruf des Schlossers und trat schon als Lehrling der Gewerkschaft bei. Fiete Schulz arbeitete als Nieter bei Blohm & Voss. Er schloß sich 1914 der SPD an.
Den ersten Weltkrieg überlebte er mit einer schweren Verwundung. Nach Hamburg zurückgekehrt, wurde er Mitglied der USPD, ein Jahr später kam es zur Gründung der KPD.
Angesichts von Not und Inflation kam es am 23. Oktober 1923 zum isoliert gebliebenen Hamburger Aufstand. Fiete Schulz stand an der Spitze der Erhebung in Schiffbek. Nach dem Ende der Aktion verließ er wegen der drohenden Strafverfolgung Deutschland.
Mit falschen Papieren fuhr er auf einem Dampfer nach Lateinamerika. In Chile lebte und arbeitete er in den Salpetergruben.
Im Frühjahr 1926 emigrierte Fiete Schulz in die Sowjetunion, kehrte aber im Sommer 1932 angesichts der wachsenden faschistischen Gefahr nach Hamburg zurück. Auf vielen Versammlungen wandte er sich energisch gegen den blutigen Terror von SA und SS.
Auch nach dem Machtantritt der Hitler-Diktatur blieb der Widerstandskämpfer illegal in der Elbmetropole. Am 16. April 1933 – dem Ostersonntag – stürmte das „Kommando zur besonderen Verwendung“ der Staatspolizei seine Unterkunft in der Altonaer Straße. Ein Spitzel hatte die Adresse verraten.
Fiete Schulzebefand sich zwei Jahre in Haft und wurde häufig mißhandelt und gefoltert. Der Schauprozeß vor dem Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichtsunter Vorsitz des Nazijuristen Otto Roth begann am 13. Februar 1935.
Fiete Schulz konnte gelegentlich den Besuch seiner Frau und seiner Tochter Wilma mit ihrer kleinen Tochter Rita empfangen. Er freute sich besonders über das Enkelkind. Als das Mädchen einmal in der Zelle heftig schrie, sagte er: „So ist es richtig! Immer protestieren! Nichts gefallen lassen! Jawohl, die neue Generation muß Widerstand leisten. Sie muß ihren eigenen Kopf haben und protestieren!“
Das Urteil des Gerichts gegen Fiete Schulze stand von vornherein fest. Staatsanwalt Stegemann hatte Ende November 1934 mit der Reichsanwaltschaft in Berlin konferiert. In einem Schreiben vom 28. November 1934 teilte Stegemann dem Oberstaatsanwalt Heinrich Lehmann mit, er wolle prüfen, ob in der „Sache Schulz“ Anklage wegen „Hochverrats“ erhoben werden könne. Sollte das nicht möglich sein, wolle er „Anklage erheben wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Mittäterschaft an den bekannten Terrorfällen in der Zeit Februar/März 1933“. Der Nazijurist fügte hinzu: „Die Anklagekonstruktion wird im Endergebnis gleichgültig sein, da in jedem Fall ein Antrag auf Verurteilung zur Todesstrafe gestellt werden kann...“
Stegemann sagte während seines Strafantrages, die Zunge des Angeklagten „sei gefährlicher als die Kugeln derer, die auf seinen Befehl geschossen haben“.
Das Gericht schob ihm die Schuld an sämtlichen Zusammenstößen und Widerstandsaktionen gegen die braunen Terroristen zu. Das Urteil vom 18. März lautete auf dreimal Todesstrafe und 260 Jahre Zuchthaus. Am 6. Juni 1935 kam der Henker Carl Gröpler aus Magdeburg, um den Justizmord im Hamburger Untersuchungsgefängnis zu vollstrecken.
Im Jahre 1981 hob der Hamburger Generalstaatsanwalt nach jahrelangen Bemühungen endlich das Terrorurteil gegen Fiete Schulz aus dem Jahre 1935 auf.
Durch diese Maßnahme wurde der vom Bundespräsidenten gewürdigte Hamburger Widerstandskämpfer endlich juristisch rehabilitiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen