■ Die Bürgerrechtler als eigentliches Kapital der Grünen: Der lange Schatten der PDS
Alles ist entschieden und trotzdem alles offen. Der gestärkten Opposition bietet sich eine breite Angriffsfläche, ohne daß sie auf realpolitische Einflußnahmen, etwa über den Bundesrat verzichten muß. Und die drei Oppositionsparteien haben Gelegenheit, ihr Verhältnis zueinander zu klären.
Klärungsbedarf ist in dieser Frage ohne Zweifel vorhanden, denn die Wahlergebnisse in den ostdeutschen Bundesländern zwingen sowohl SPD als auch die Bündnisgrünen zu einer Positionsbestimmung. Ein Kontaminierungsverbot gegenüber der PDS ist politisch weder sinnvoll noch durchzuhalten, gefragt ist politisch argumentative Auseinandersetzung. Die PDS ist zwar Nachfolgepartei der SED, aber sie bezieht ihre Legitimation nicht mehr wie früher aus ihrer Rolle als verlängerter Arm einer imperialen Großmacht und als totalitäre Staatspartei, sondern aus den Wahlstimmen, die sie im Wettbewerb der Parteien erhält. Dies macht demokratietheoretisch einen fundamentalen Unterschied aus.
Die bisherigen Überlegungen zum Umgang mit der PDS kranken vor allem daran, daß sie Realpolitik hauptsächlich als Parteienarithmetik und als Machtpolitik denken und es an einer klaren Bestimmung des Charakters der PDS vermissen lassen. Bündnisse oder Koalitionen mit der PDS sind nicht schon deshalb Reformprojekte, nur weil die PDS mit dem Vokabular des altlinken Etatismus programmatisch hausieren geht. Die PDS ist in mehrfacher Hinsicht eine konservative Partei: Ihre Mitgliederbasis im Osten schöpft lebensweltlich aus dem Potential der untergegangenen DDR, ein Teil ihrer Wählerbasis in den neuen Bundesländern sehnt sich nach dem paternalistischen Fürsorgestaat. Und der hauptsächliche Teil ihrer Klientel im Westen gehört zu den Ewiggestrigen, die aus 40 Jahren reflexiver Demokratie im Westen und 40 Jahren Partei- und Staatsdiktatur im Osten nichts hinzugelernt haben.
Die andere Seite der PDS sind die intellektuellen Modernisten um Gysi und die jungen Wählerinnen und Wähler im Osten, die hungrig auf Opposition gegen eine allzu reibungslose Integration des Ostens in den Westen sind. Die vielgestaltige Strategie der PDS, die es ihr erlaubt, Traditionalisten, Populisten und Modernisten unter einem Dach zu integrieren, kann nur so lange funktionieren, wie die politischen Gegner ihr erlauben, sich als Anwalt und Opposition des Ostens zu gerieren.
Die SPD muß sich klar entscheiden, ob sie das Risiko von Koalitionen mit der PDS im Osten (und nur dort stellt sich das Problem) eingehen will oder nicht. Eine Regierung mit PDS-Beteiligung eröffnet aber keine wirkliche Option auf eine politische Reformkoalition, denn eine solche müßte sich gerade durch eine deutliche Absetzbewegung von dem gescheiterten Erbe der DDR qualifizieren, und das ist mit der PDS nicht zu machen.
Für die Bündnisgrünen ist die verstärkte politische Auseinandersetzung mit der PDS aus anderen Gründen unausweichlich. Das Wahlergebnis hat die strukturelle Dominanz der Westgrünen über die ostdeutschen Bündnisgrünen einmal mehr festgeschrieben. Das Häuflein von fünf aufrechten ostdeutschen Bürgerrechtlern in der neuen Fraktion droht unter dem Gewicht der gewieften altbundesrepublikanischen Realpolitiker unterzugehen, wenn nicht die bewußte Entscheidung getroffen wird, ihren objektiven Minderheitenstatus politisch aufzuwerten. Innerparteilich wird die Frage an Gewicht gewinnen, wie die Bündnisgrünen in den neuen Bundesländern wieder auf die Füße kommen können.
Eine Option, die bereits im Vorfeld der Bundestagswahlen ventiliert wurde, legt den ostdeutschen Bürgerrechtlern nahe, ihren „Tick“ mit der Vergangenheitsbewältigung aufzugeben und sich den Gegenwartsfragen zuzuwenden. Andere – der Magdeburger Tschiche dürfte hier nur die Spitze des Eisbergs sein – träumen bereits von einer schleichenden Verschmelzung zwischen Bündnis 90 und PDS zu einer gemeinsamen Opposition.
Jeder Versuch einer programmatischen oder politischen Verklammerung zwischen Bündnisgrünen und PDS wäre ein Rückfall in die Kinderkrankheiten des grünen Projekts. Daß die „kommunistische Plattform“, die in Gestalt von Reents, Ebermann und anderen lange Zeit die innerparteiliche Entwicklung der Grünen lähmte, mit der PDS zu den Grünen zurückkehren soll, taugt nicht mal als Gedankenspiel. Gefragt ist gerade in der Auseinandersetzung mit der PDS und ihren Wählern eine politische Offensive zur Delegitimierung von 40 Jahren realem Sozialismus. Dabei sind die Erfahrungen und das Wissen der ostdeutschen Bürgerrechtler im Umgang mit dem realsozialistischen Erbe unverzichtbar.
Natürlich darf diese Auseinandersetzung nicht in der Form eines moralischen Schulddiskurses geführt werden, sondern muß vor dem Hintergrund der Erfahrung einer Diktatur die Vorzüge von Demokratie, Pluralismus und Rechtsstaat herausarbeiten. Diese Anstrengung erfordert vor allem gegenüber den jungen WählerInnen der PDS Geduld und Überzeugungsarbeit und kann nur in längeren Lernprozessen vermittelt werden.
Aus der Geschichte der Bundesrepublik wissen wir, daß die Frage nach der Vergangenheit auf mittlere Sicht unaufhaltsam nach oben dringt. Die Bündnisgrünen haben die Chance, diese Frage jetzt schon mit ihrer eigenen Geschichte unauflöslich zu verbinden. Gleichwohl kann sich eine antitotalitäre ostdeutsche Opposition nicht allein aus der notwendigen Abrechnung mit dem System und den alten Eliten legitimieren. In der Formulierung eines Umbauprogramms Ost, welches das Bündnis mit den politisch-kulturellen und ökonomischen Kräften sucht, die einer solchen Perspektive gegenüber aufgeschlossen sind, könnte ein Baustein für die Bündnis-Konsolidierung liegen.
Ein anderer Baustein ist die stärkere Wiedervernetzung mit den Bürgerinitiativen, die nach der Wende in einem zweiten Schub der Selbstorganisierung der Gesellschaft auf lokaler Ebene entstanden und sich sehr schnell aus den Bürgerbewegungen ausgeklinkt haben. Auf lokaler Ebene sind diese Gruppen mittlerweile der Hauptträger einer kritischen Öffentlichkeit und einer sich neu entwickelnden Soziokultur.
Das Wahlergebnis von Sonntag hat einmal mehr die Unterschiedlichkeit der politischen Kulturen in Ost- und Westdeutschland eindrucksvoll unterstrichen. Deshalb kann der Prozeß der Neuorientierung der ostdeutschen Bündnisgrünen von den Westgrünen nur mit Empathie und offener Diskussionsbereitschaft begleitet werden. Die geringste Solidarverpflichtung besteht in einem gezielten innerparteilichen „Aufbauprogramm Ost“, das ohne westliche Arroganz die Strukturschwächen der ostdeutschen Landesverbände zu überbrücken hilft, bis sich auch dort jenes Milieu stabilisiert hat, das die Grünen im Westen trägt. Lothar Probst
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