: Politische Melancholie
■ Interpretationen von David Byrne, Michael Nyman oder Rumänien: Das Balanescu-Quartett spielte im HKW
Sitzt die Securitate, der rumänische Geheimdienst, im Publikum, wenn ein Exilrumäne im Haus der Kulturen der Welt auftritt, mit seiner Musik die tragische Geschichte seines Landes thematisiert und öffentlich auf politische Veränderung hofft? Mit Paßnummer, Name, Geschlecht, Geburtsort und -tag, Größe und Augenfarbe stellen sich die drei englischen Mitglieder des Balanescu Quartetts am Anfang des Konzerts vor. Balanescu selbst tut dies nicht. Er trägt einen Hut, der seine Augen beschattet.
Minimale Details setzen Zeichen. Hinter dem Ensemble sind weiße Fahnen aufgestellt, die je nach Beleuchtung die Farbe wechseln. Weiß wird in dieser Lichtinszenierung zur Kontrastfarbe von Rot. Schon mit dem ersten Stück aus dem Werk „Luminitza“ (kleines Licht), das das Streichquartett spielt, wird die Brüchigkeit der Geschichte des Landes auch musikalisch inszeniert. Volksmusikelemente des Balkans – und dazu gehören rasend schnelle Geigenläufe, die Balanescu meisterhaft beherrscht – werden mit minimalistischen Konzepten überlagert und in einem abgehackten Rhythmus gebunden, der der Musik zeitweise träumerische Weite, zeitweise ein grotesk militärisches Ambiente und dann wieder eine völlige Unorganisiertheit verleiht. Gerade so, als könnte Musik gleichzeitig These und Antithese sein. Manchmal sagt Balanescu mit seiner monotonen Stimme und mit schwerem Akzent Sätze wie: „We want to be democratic“, Sätze, die von keinerlei musikalischer Euphorie aufgefangen werden, und dann bleibt nichts zurück als politische Melancholie.
Clare Conners, die wie Balanescu Geige spielt und viele der Arrangements mitgestaltet hat, Andy Parker an der Bratsche und die quicklebendige Nick Cooper am Cello stützen die jeweilige Virtuosität der anderen durch langgezogene Töne. Die Musik wird wellenartig weitergetragen. Es entsteht etwas wie eine Geheimsprache unter den MusikerInnen, etwas wie Freundschaft.
Der in Rumänien aufgewachsene und 1969 mit seinen Eltern nach Israel ausgewanderte Balanescu, der später in England studierte, schöpft aus seinen kulturellen Erfahrungen. Er ist ein Sammler. Deshalb gehören Interpretationen von Kraftwerk-Stücken genauso zu seinem Werk wie Stücke von David Byrne oder Michael Nyman. Daß er sich jedoch mit „Luminitza“ noch einmal seiner rumänischen Vergangenheit angenommen hat, ist eine Liebeserklärung an die Menschen eines Landes, die von einer anderen Welt träumen und deren Trauma es ist, daß das Gefühl, verfolgt zu sein, nie aufhört, auch nicht in der Emigration. Waltraud Schwab
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