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Try it again, Sam!

■ Der Stein rollt wieder: Ab heute erscheint ein neuer deutscher Ableger des US-Musikmagazins "Rolling Stone"

An dem 1979 gegründeten US- Musikmagazin „Rolling Stone“ kommt in der Branche niemand vorbei. Ein erster Versuch, eine deutsche „Rolling Stone“-Ausgabe zu etablieren, scheiterte 1981 nach nur wenigen Ausgaben. Jetzt versuchen es Jörg Gülden („Sounds“) und Bernd Gockel („Musikexpress“) noch einmal. Mit letzterem sprach Holger Iburg.

taz: Der Versuch, einen deutschen „Rolling Stone“ zu etablieren, ist schon einmal grandios gescheitert. Wie wollt ihr es besser machen?

Bernd Gockel: Wir haben uns vorgenommen, eine deutsche Identität zu bekommen, denn wir wollten nicht wie der verlängerte kulturimperialistische Arm der Amerikaner wirken. Wir versuchen bei unseren Themen fünfzig- fünfzig zu liegen. Und wir achten sehr auf die Übersetzungen. Daran haperte es beim alten deutschen Rolling Stone doch erheblich.

Wer soll das deutsche „Rolling Stone“ lesen? Ältere Käufer, jenseits der werbeträchtigen 30?

(lacht) Wir vermeiden eigentlich den Ausdruck „ältere Leser“. Wir haben die Sprachregelung vom „erwachsenen Leser“, wobei ein 18jähriger bereits erwachsen sein kann und ein 60jähriger immer noch nicht. Der US-Rolling Stone hat ein Durchschnittsalter von 27, aber die Leserschaft sitzt dort eher an den Rändern: Sie sind deutlich jünger oder älter.

Wer soll euch denn nun lesen?

Wir sind keine Nischen- oder Grufti-Zeitung. Wir wollen tatsächlich den 18jährigen ansprechen, der von Techno und Trends und Viva und MTV angeödet ist und in Vaters Plattenschrank Jimi Hendrix und die Doors entdeckt hat, und genauso den 45jährigen, der sich nicht in Familie und Beruf verabschiedet hat. Übrigens bestätigt uns die Marktforschung, daß es diese älteren Interessenten tatsächlich gibt.

Wollt ihr für diese Leser die historische Wahrheit des Pop bewahren?

Nein, so ist es nun nicht. Wir könnten mit einem alten Titelbild von Hendrix oder Led Zeppelin mehr verkaufen als mit Soundgarden oder Pearl Jam. Aber wir wären doof, wenn wir es täten. Denn dann sind wir in zwei Jahren in der geriatrischen Sackgasse. Das soll jetzt nicht berechnend klingen, ich will damit sagen: Wir haben auch Bock auf neue Töne. Auf Sonic Youth, Henry Rollins oder Blumfeld. John Peel sagt in unserem ersten Heft stolz: „Ich bin 53.“ Und dann ärgert er sich darüber, daß er nicht mehr offen sein soll für irgendwelche neuen, schrägen, wilden, wüsten Sachen.

Also ein Generationskonflikt?

Musik ist für mich emotionale Funktionalität. Ich finde es arrogant, jemanden zu verdammen, weil er Roland Kaiser, Pavarotti oder die Einstürzenden Neubauten gut findet.

Kommt denn Roland Kaiser im Heft vor?

Nein, aber Pink Floyd. Und zu Roland Kaiser: Wenn es dem 18jährigen mit seiner Freundin da im Konzert heiß den Rücken runterläuft, dann ist das doch toll. Sicher, man kann nicht alles verstehen wollen. Sonst müßten wir über Roland Kaiser schreiben. Wo man die Grenzen zieht, das ist subjektiv.

Wie sehen eure Kriterien aus?

Es ist meist ein Bauchgefühl, zusammengesetzt aus Erfahrung und Routine. Ich merke, wenn ich eine CD höre, was die machen wollten. Und wenn das geklappt hat, dann bezeichne ich das als Qualität, unabhängig von der Stilrichtung.

Freiheit fürs Gefühl? Warum bringt ihr dann nicht bloß News über Neuerscheinungen, und der Leser entscheidet selbst?

In diesem Wust von Nischen und Tribalisierungen, die sich im vergangenen Jahrzehnt entwickelt haben, braucht der Leser mehr denn je die Hand, die ihn führt. Wir sind kein Krämerladen, wir können uns nur am Markt durchsetzen, wenn wir ein Profil haben. Wenn alle Phil Collins haben, brauchen wir das nicht auf dem Cover.

Aber ihr seid doch der Tradition verpflichtet?

Ja, zwar nicht im Sinne von Gruft und Geriatrie, aber doch so, daß wir uns am Riemen reißen. Das mag manchmal etwas humorlos ausschauen. Doch da habe ich dazugelernt. Wir nehmen, wie der US-Rolling Stone es von Anfang an gemacht hat, Rockmusik als elementar wichtiges gesellschaftlichen Phänomen ernst. Es bedeutet doch etwas, wenn jemand 50 Mark für eine Konzertkarte ausgibt und sich dabei gut fühlt. Darüber mache ich mich nicht lustig. Ich nehme das Phänomen ernst, auch wenn es nicht mein Stilgeschmack ist. Deshalb glaube ich auch nach 20 Jahren im Musikgeschäft noch an das Gute im täglichen CD-Stapel. Auch wenn viel Müll dabei ist.

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