: Geheimer Atomunfall in Francos Spanien
■ 24 Jahre lang wurde ein schwerer Unfall in einem spanischen Atomforschungszentrum vertuscht / Spaniens Bevölkerung bekam verseuchtes Gemüse zu essen / Bis heute keine volle Aufklärung
Berlin (taz) – Ein Atomunfall aus der Franco-Diktatur beschäftigt die spanischen Medien: Am 7. November 1970 gelangten durch ein versehentlich offenes Ventil und eine gerissene Schweißnaht mindestens 40, vielleicht 80 Liter hochgradig radioaktiv verseuchte Flüssigkeit aus dem Atomforschungszentrum Juan Vigón in die Kanalisation. In der Anlage am Rande Madrids ließ das Militär Versuche zur Plutoniumgewinnung, womöglich für ein spanisches Atombombenprogramm, durchführen. In einer solchen Anlage werden Brennelemente chemisch verflüssigt, um Plutonium und Uran abzutrennen. Die damals austretenden flüssigen Atomabfälle enthielten unter anderem Strontium 90, Caesium 137 sowie einige Partikel Plutonium. Über das Abwasser gelangte die strahlende Fracht in den Fluß Manzanares, von dort in den Jarama und in den Tajo. Obwohl der Unfall schon wenige Minuten später entdeckt wurde, erfuhr die spanische Öffentlichkeit nichts – bis zum vergangenen Montag, als die Tageszeitung El País Auszüge aus bisher streng geheimen Dokumenten veröffentlichte. Auf ihrem Weg ins Meer speisen die Flüsse Hunderte von Bewässerungskanälen für die landwirtschaftliche Gemüseproduktion. Monate-, wenn nicht jahrelang bekam die Bevölkerung der Hauptstadt hochgradig verseuchtes Gemüse zu kaufen und ahnte nichts. Die Sicherheitsgruppe des Forschungszentrums reagierte erst Tage nach dem Unfall. Messungen, die geheim blieben, belegten eine hochgradige Verseuchung der Ufergebiete. Nachdem Gerüchte über den Unfall stärker wurden, räumten die Atomforscher 1971 ein, daß es einen Zwischenfall gegeben habe. Die Sicherheitsgruppe befand, der Verzehr des kontaminierten Gemüses müsse sofort unterbunden, die Bewässerung der Äcker verboten werden. Aber auch dieser Maßnahmenkatalog blieb intern.
Bauern der betroffenen Regionen erinnern sich zwar, daß in jenen Tagen mehrfach Besucher auf ihren Ländereien Gemüseproben entnahmen – nie jedoch wurden die Gründe dafür erwähnt; die Bauern verkauften ihre Ernte weiterhin in der Hauptstadt. Auch als Mitarbeiter des Zentrums in den am schlimmsten verseuchten Gebieten die gesamte Ernte aufkauften, wurden den Bauern die Gründe dafür nicht erklärt. Ganze Lastwagen voller verstrahlten Gemüses, so heißt es, wurden in der Umgebung des Forschungszentrums vergraben. Dort, auf dem Universitätscampus, flanieren heute die StudentInnen auf verstrahltem Boden. Ergebnisse von Bodenuntersuchungen finden noch heute regelmäßig statt – und bleiben geheim. Bernd Pickert
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