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Kernspaltung in der Leukämie-Kommission

■ Wissenschaftler fordern Abberufung des Kommissions- Chefs Otmar Wassermann

Neuer Knatsch in der schleswig-holsteinischen Leukämie-Kommission. Die Experten-Runde, welche die Ursachen für die Häufung von Blutkrebs-Erkrankungen in der Elbmarsch aufklären soll, ist gespaltener denn je. Jüngster Höhepunkt der Selbstdemontage: Der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, Helmut Löffler, forderte am Donnerstag die sofortige Absetzung des Kommissionsleiters Otmar Wassermann.

„Wir sehen mit dem gegenwärtigen Vorsitzenden der Kommission keine Chance für einen sachlichen Abschluß der Kommissionsarbeit“, heißt es in einem von Löffler und anderen Kommissionsmitgliedern verfaßten Brief an die drei Kieler Ministerien für Umwelt, Energie und Gesundheit. Dem Gremium gehörten zudem „zu viele Mitglieder an, die ständig bereits widerlegte Behauptungen in der Öffentlichkeit als Tatsachen verbreiten.“

Den an den Pranger gestellten Kommissions-Mitgliedern – gemeint ist der Zirkel um die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake und den Münchner Chemiker Roland Scholz – gehe es nur darum, das vorher festgelegte Ergebnis „Kernenergie macht Leukämie bei den Menschen in der Umgebung“ auch „unabhängig von Fakten zu beweisen“ und die so geschürte Krebs-Angst der Menschen im Kampf gegen die Atomkraft zu instrumentalisieren. Nach Ansicht der Brief-AutorInnen drohe die Arbeit der Kommission deshalb in einem Chaos unterzugehen.

Noch einen Schritt weiter geht der Hamburger Uni-Professor Horst Jung, Direktor des Instituts für Biophysik und Strahlenbiologie am Fachbereich Medizin. Er forderte den schleswig-holsteinischen Energieminister Claus Möller gestern auf, die Kommission gleich ganz aufzulösen. Das Gremium habe seit drei Jahren mehrere Millionen Mark für „Untersuchungen“ vergeudet, „die außer zweifelhaften Verdachtszuweisungen absolut nichts erbracht haben“. „Machen Sie diesem menschenverachtenden Affenzirkus ein Ende. Verweigern Sie sich“, appeliert der Institutsleiter an Möller.

Die richtige Adressatin für diese Forderung wäre allerdings die Kieler Umweltministerin Edda Möller gewesen. Doch die erteilte gestern bereits dem Ersuchen, Wassermann abzulösen, eine Absage. Als „nicht sachdienlich“, beurteilte die Ministerin den Vorschlag und kündigte an, zusammen mit dem Kollegen Möller mit Wassermann und VertreterInnen der verschiedenen Kommissionsflügel das Gespräch über die „weitere Arbeitsfähigkeit“ des Gremiums zu suchen. Schließlich trage „der derzeit schwelende Gutachterstreit“ nicht zu „einer Klärung der Frage“ bei, worauf die erhöhte Blutkrebs-Rate zurückzuführen sei.

Um die allgemeine Konfusion perfekt zu machen, meldete sich gestern auch noch ein ausschließlich mit CDU/CSU-PolitikerInnen besetzes Gremium zu Wort: der Bundesverband Christliche Demokraten gegen Atomkraft. Deren Vorsitzender Detlev Chrzonsz kritisierte in Lübeck heftig, daß Kiel den Atommeiler in Krümmel bei Geesthacht vorvergangene Woche wieder ans Netz gehen ließ. Chrzonsz verurteilte zudem, daß sich Ex-Ministerpräsident Björn Engholm von der Atomkraft-Betreiberin Preussen Elektra „mit 100.000 Mark für einen sogenannten Beratervertrag sponsern lasse“ und warf der Landesregierung vor, die Atomenergie „klammheimlich abzusichern“.

Seltene Töne aus den Reihen der Union, aber im Leukämiestreit scheint derzeit fast alles möglich.

Marco Carini

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