■ Ein kanadisches Fotolabor bietet einen neuen Service an: Eins, zwei, drei – weg isser!
New York (taz) – Realität ist, was man sieht. Oder? Für Fotografien, die zweidimensionalen Abbilder der Realität, trifft das jedenfalls schon lange nicht mehr zu. Daß sich Bilder manipulieren lassen, wußten schon die alten Stalinisten. War ein kommunistischer Genosse mal in Ungnade gefallen, wurde sein Kopf aus allen historischen Fotografien herausretuschiert und damit die Geschichte kurzerhand umgeschrieben. Blieben die Spuren solcher Eingriffe, die den Klassenfeind stets zum Schmunzeln brachten, jedoch für lange Zeit sichtbar, bietet die Computertechnologie heute die perfekte Lösung.
Nicht nur für großangelegte politische Tricks irgendwelcher Diktatoren, sondern auch für den Hausgebrauch. Das Fotolabor Pro Imaging Labs aus Vancouver, Kanada, bietet jetzt mit DivorceX einen Retuschier-Service speziell für geschiedene Ehepaare an. Mußte man früher noch zur Schere greifen, um sich erinnerungstechnisch des ungeliebten Partners zu entledigen, säubert die kanadische Firma Fotos ganz ohne Schnipsel. Wer nach der Trennung das Gesicht des ungeliebten Partners nicht mehr im Familienalbum haben will, läßt es dort elektronisch entfernen. Auf Wunsch montieren die Fototechniker dann an dieselbe Stelle den neuen Geliebten ein.
„Einer unserer Kunden stand kurz vor der Heirat“, erklärte Pro- Imaging-Chef Keith Guelpha kürzlich dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek die Gründe für den Einsatz von DivorceX. „Vor der Verlobung hatte er eine Europareise unternommen, und auf jedem Urlaubsfoto hielt er ein anderes Mädchen im Arm. Die wollte er alle entfernen lassen.“ Technisch gesehen ist das längst kein Problem mehr. Die ungeliebten Fotos werden mit dem Scanner, einem elektronischen Lesegerät, in den Computer eingelesen. Mit speziellen Graphikprogrammen kann das digitalisierte Bild dann am Bildschirm nach Belieben verändert werden.
So werden heute viele Modefotos elektronisch perfektioniert, und auch die meisten Special Effects im Kino entstehen so. Alle, die sich zum Beispiel bei „Forest Gump“ verwundert fragten, wo die Beine von Tom Hanks Schauspielpartner geblieben sind, wenn er den Kriegsinvaliden im Rollstuhl spielt, können beruhigt aufatmen: Sie wurden hinterher am Computer amputiert.
Genauso wie die Teflon-Beschichtung erst im Weltraum getestet werden mußte, bevor sie ihren Siegeszug am heimischen Herd antrat, so findet auch die Computergraphik jetzt allmählich ihren Weg ins Wohnzimmer. Die kanadischen Fotospezialisten bieten neben dem DivorceX-Service auch schon kosmetische Retuschen an. Vorbei die Angst vor unvorteilhaften Urlaubsposen, Bikinibildern mit zuviel Bauch. Mit Hilfe des Computers werden hängende Pobacken und Brüste gestrafft und Speckfalten oder Doppelkinne weggebrusht, als wären sie nie dagewesen.
Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zur elektronischen Bilderbank, die dem Fotografen das lästige Inszenieren von Hochzeits-, Geburtstags- oder Firmenjubiläumsbildern erspart. Die Köpfe der Kunden könnten mit einer Videokamera fix aufgezeichnet und dann je nach Bedarf ins entsprechende Motiv einmontiert werden. Schöne neue Welt? Von wegen. Das hat es alles schon gegeben – nur eben weniger perfekt. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an die Rummelplatzfotografen, die ihre Kunden in einer bemalte Pappkulisse verewigten. Die Illusion entstand dabei durch einen simplen Trick: Steck den Kopf durch das Loch und vergiß die Realität! Ute Thon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen