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Viel Lärm in Hongkong

Es gibt in der boomenden Stadt nur wenig alte Häuser, aber eine Menge schicker Luxusobjekte  ■ Von Werner Meißner

Des Hongkongers am meisten benutztes Werkzeug scheint – neben dem Notebook-Computer und dem schnurlosen Telefon in der Jackentasche – der Preßlufthammer zu sein. Es gibt keine Straße, keinen Ort, ja bisweilen kein Hochhaus, wo nicht wenigstens eines dieser Monstren ununterbrochen rattert.

Versuche, vor dem Lärm zu flüchten, führen meistens dazu, daß man das Phänomen am Fluchtort wieder antrifft oder ihm unterwegs dorthin schon mehrfach begegnet ist. Die einheimische Bevölkerung erträgt den Lärm mit Gelassenheit. Nicht so der von der Ruhe und dem stillen Rauschen europäischer Wälder träumende Abendländer: Genervt greift er schließlich zum bewährten Ohropax, sollten gerade wieder Apartments in seiner Nähe luxusrenoviert werden, was unweigerlich mit Stemmarbeiten zu tun hat. Auch Ohrenstöpsel aus italienischer Produktion sind in den Apotheken zu erhalten: Laut Aufdruck verheißen sie Hilfe contro i rumori della vita moderna. Doch gegen die rumori della vita in Hongkong ist bislang noch kein wirksamer Stöpsel erfunden worden: Man hat es hier nämlich mit einer Art Lärm zu tun, der in der Welt wohl einmalig sein dürfte und dessen letzte Steigerung eben das erbarmungslose Stakkato der Preßlufthämmer ist.

Warum aber sind in Hongkong ständig so viele Preßlufthämmer im Einsatz, mehr als in jeder anderen Stadt? Geht man dieser Frage nach und nimmt sich die Zeit (und die Ruhe!!!), herauszufinden, was diese Hämmer eigentlich den ganzen Tag machen, so fällt auf, daß sie hauptsächlich dabei sind, Häuser bzw. Wolkenkratzer einzureißen, Luxussanierungen in den Häusern vorzubereiten und, als Drittes, Straßen aufzubrechen.

Nun stehen in Deutschland die Häuser mindestens siebzig Jahre, es sei denn, der Krieg hat sie zerstört, viele stehen noch länger, und wenn sie über hundert Jahre alt werden, so wird aus kulturhistorischen Gründen ihr Leben häufig künstlich verlängert. Je älter ein Haus, desto schöner wird es doch meist empfunden.

Nicht so in Hongkong. Hier gibt es nur noch wenige alte Häuser: Dazu zählen der Palast des Gouverneurs und die alte Bank of China im Central-District; das Haus in der Ice House Street, in dem der Foreign Correspondent Club sein Domizil hat. Auch das Verwaltungsgebäude der University of Hong Kong gehört zu den schönen alten Bauten aus der Zeit der Jahrhundertwende. Mehrere Kirchen und das kleine alte Postamt in Wanchai sind noch zu erwähnen sowie ein paar luxuriöse Villen im Kolonialstil auf dem Peak.

Die meisten Häuser aber wurden nach dem Krieg gebaut, und die meisten dieser nach dem Krieg buchstäblich „hochgezogenen“ Wohnmaschinen und Geschäftshäuser wurden und werden schon wieder abgerissen und binnen wenigen Monaten durch neue Glitzerbauten ersetzt.

In Hongkong wird ein normales Hochhaus im Durchschnitt nur dreißig Jahre alt. Das bedeutet: In Hongkong wird vergleichsweise etwa dreimal soviel abgerissen wie in Deutschland und damit auch dreimal soviel Abrißlärm erzeugt. Wegen der extrem dichten Bebauung und der Höhe der Häuser verdichtet sich dieser Abrißlärm aber zu einem Dauerlärm, denn bei der kleinen Fläche, auf der die Hochhäuser stehen, finden zwangsläufig irgendwo in unmittelbarer Nähe – sei es über, unter oder aber neben einem – immer Stemmarbeiten statt.

Eine weitere große Lärmquelle sind die Millionen Klimaanlagen in den Hochhäusern. Die vielen kleinen und großen Gebläse erzeugen das für Hongkong so typische Hintergrundrauschen.

Die nächste Quelle ist der Autoverkehr, speziell die zahlreichen alten Dieselbusse. Seine höchsten Dezibelwerte erreicht der Lärm aber dann, wenn vor dieser gemeinsamen Lärmkulisse werktags von 9 bis 19 Uhr (einschließlich Sonnabends) die Preßlufthämmer einsetzen und – gleichsam als Krönung – dann noch die Dampframmen den Takt bestimmen. Da der Schall wegen der Höhe der Häuser nicht entweichen kann, potenzieren sich die vier Lärmarten in den Straßenfluchten bis über die Schmerzgrenze.

Warum aber wird nun ein Wolkenkratzer schon nach dreißig Jahren abgerissen und durch einen neuen ersetzt? Fallen denn die Häuser schon nach so kurzer Zeit zusammen?

Keineswegs. Der Grund ist vielmehr, daß der Wert eines Hauses im Verhältnis zum Wert des Grundstücks gering ist. Die astronomisch hohen Preise für Grundstücke amortisieren sich über einen Neubau mit höheren Mieten schneller als über einen „Altbau“. Zudem ist das Bauen verhältnismäßig billig: Als Gerüst dienen selbst bei Hochbauten bis über dreihundert Meter lediglich Bambusrohre, von schwindelfreien Arbeitern in waghalsiger Artistik aufgestellt, wobei die einzelnen, ca. zehn Meter langen und fünf bis acht Zentimeter dicken Stangen lediglich mit dünnen Plastikbändern zusammengebunden werden. Diese Art von Gerüstbau ist natürlich äußerst kostensparend. Weiterhin ist die Bauqualität bescheiden; sie entspricht nicht einmal der Qualität des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland. Vornehmlich bestehen die Häuser aus Stahlgerippe und Betonplatten, eine allerdings im Gegensatz zur ehemaligen DDR hier sehr effiziente Plattenbauweise. Die Häuser besitzen keine Isolierungen, und die Innenwände verfügen nur über zwei Millimeter Glattputz (was speziell beim Bilderaufhängen sehr von Nachteil ist). Wasser- und Abflußrohre werden meistens außen geführt.

In letzter Zeit werden nun auffällig viele der Luxusimmobilien und deren Apartments erneuert: Selbst kostbare Tropenholzböden werden herausgestemmt und durch Marmorfliesen ersetzt, Türrahmen mittels Plastik zu korinthischen Tempeleingängen verschalt. Jonische Plastiksäulen schmücken künstliche Emporen in den großen Wohnhallen. Von ihnen aus treten dann die neuen Eigentümer oder Mieter hinaus auf die mit Marmor ausgekleideten Balkone und genießen in luftiger Höhe den schon weltberühmten Panoramablick auf Hafen und Meer.

So eine Wohnung kostet dann monatlich etwa 15.000 bis 20.000 Mark Miete bei bislang jährlichen Steigerungen von im Schnitt zehn Prozent. Diese Mieten werden hauptsächlich von den zahllosen ausländischen Firmen und diplomatischen Niederlassungen für ihre Mitarbeiter bezahlt – noch.

Bei etwa hundert Apartments pro Haus ergibt das etwa 20 Millionen Mark Mieteinnahmen im Jahr. Nach wenigen Jahren hat sich also das Projekt bereits amortisiert. Wird das Grundstück verkauft, zögert der neue Eigentümer nicht, gleich ein neues Haus zu bauen: meist doppelt so hoch, ein bißchen mehr Marmor, ein bißchen mehr Spiegelglas und die Apartments doppelt so teurer.

Wer aber sind die neuen Eigentümer? Sie kommen überwiegend aus der VR China. Häufig sind es hohe Kader der KP China, die die Gewinne aus den Exporterlösen ihrer Firmen in Hongkonger Luxusimmobilien anlegen. Nur ungefähr zwanzig Prozent der Exporterlöse sollen überhaupt noch nach China zurückfließen, der Rest wird überwiegend gleich in Hongkong angelegt oder dort auf Konten „geparkt“. Mehr als ein Drittel des gesamten Immobilienbesitzes von Hongkong ist seit 1991 vom Festland aufgekauft worden: Hongkong geht gewissermaßen in „Volkseigentum“ über.

In den letzten Monaten blüht nun die Immobilienspekulation wie nie zuvor: Seit einem Jahr sind die Mieten generell um ca. fünfzig Prozent gestiegen. Bei vielen Objekten aber haben sich die Preise und Mieten sogar verdoppelt. Fünf bis sieben Millionen Mark für ein Apartment mit 100 bis 150 Quadratmeter sind keine Seltenheit mehr.

Für diese Immobilienspekulation werden die Festlandfirmen inzwischen sogar von Peking selbst verantwortlich gemacht: Der Leiter des Büros für Macao und Hongkong beim Staatsrat der VR China, Lu Ping, warf den Firmen darüber hinaus vor, sie würden sich auch noch staatlicher Kredite bedienen, um in Hongkong ohne Risiko Profite machen zu können. Dadurch aber würden die Preise hochgetrieben und langfristig Hongkong als Finanzplatz geschädigt. Viele Firmen würden deshalb ihre Niederlassungen in andere Städte Asiens verlegen, weil die Mieten nicht mehr zu bezahlen wären.

Auch die Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats haben in den letzten Wochen und Monaten die Folgen dieser Entwicklung zu spüren bekommen: ihre Mieten stiegen bis zu hundert Prozent.

Während nun die Substanz dieser Spekulationsobjekte in Billigbauweise erstellt wird, sehen die Fassaden ganz anders aus. Die Hongkonger Oberschicht – die alte wie die neue – hat einen unstillbaren Drang zu oberflächlichem Luxus: Viele Fassaden sind entweder mit Marmor oder Spiegelglas verblendet; die Eingangshallen gleichen häufig einem Tempeleingang und erzeugen beim Eintretenden aufgrund des stets auf Hochglanz geputzten Messings und des vielen Marmors das Gefühl von höherer Bedeutung und gesteigertem Lebenswert. Dazu bei tragen natürlich auch die zahlreichen chinesischen Wachmänner, die sogenannten caretakers, die – meist freundlich lächelnd – zum unverzichtbaren Teil des neofeudalen Am-

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biente gehören. Bei den großen Bankgebäuden, so der Bank of China, die der VR China gehört, der Hong Kong Bank und der Hang Seng Bank ist das Gefühl von Größe und Erhabenheit noch stärker, es bekommt fast religiöse Züge: Die Eingangshallen aus Marmor, Glas und Messing wirken wie riesige Kathedralen des Kapitals, in deren Seitenschiffen viele freundliche und fleißige Geldbetreuer ihren Geschäften nachgehen. Vorbei an indischen Wachen mit hochglänzenden Karabinern gleitet dann der andächtige Kunde über lange Rolltreppen tief hinunter in die „Sakristei“.

Ergriffen verweilt er vor den drei Meter hohen, ein Meter dicken und hochglänzenden Panzerstahltresortüren in der Form eines chinesischen Mondtores. Dahinter ruht dann das Allerheiligste: das Geld von Hongkong, halb Asien und in wachsendem Maße auch Chinas.

Unverzichtbarer Bestandteil der Immobilienspekulation aber ist nun mal leider der Preßlufthammer; er schafft die Voraussetzungen für die ständige Erneuerung durch die unablässige Zerstörung des „Altbaus“. Binnen wenigen Wochen ist ein Hochhaus abgerissen, und wenn man aus dem Urlaub zurückkommt, wächst an derselben Stelle schon der – neuerdings häufig postmoderne – Neubau. In manchen Fällen wirkt er wie eine futuristische Version von Schloß Schwanstein, nur wesentlich schlanker und, vor allem, höher: Postmoderne Burgzinnen und marmorne Balkone hängen da in hundert Meter Höhe an den Außenwänden, auf denen nie ein Mensch stehen wird – außer den Männern, die einmal in zwanzig Jahren mit den unvermeidlichen Preßlufthämmern kommen werden, um den ganzen Kitsch wieder einzureißen.

Neuerdings werden auch noch viele dieser Investitionstürme von starken Halogenscheinwerfern gekrönt. Ihre parallelen Strahlen stechen nachts wie riesige bunte Lichtnadeln in das All, offensichtlich, um dem Himmel vom Reichtum ihrer neuen Besitzer hier auf Erden zu künden.

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