: Ein Haus der Freundlichkeit
■ Christa Wolf ist in die Berliner Akademie der Künste zurückgekehrt
Bei der Tagung über „die kulturellen Folgen des Umbruchs vom Herbst 1989“, zu der Walter Jens die Mitglieder der Berliner Akademie der Künste geladen hatte, war vom Umbruch eigentlich weniger die Rede. Die Zeichen stehen nach den zerstörerischen Querelen des letzten Jahres auf Versöhnung. Wo alle den alten Ost-West-Knatsch satt haben, will niemand mehr den Finger in alte Wunden legen.
Symptomatisch für die neue Versöhnlichkeit: Christa Wolf ist wieder Mitglied der Akademie, aus der sie nach Bekanntwerden ihrer früheren Kontakte zur Staatssicherheit im März 1993 aus eigenem Willen ausgeschieden war. Den Beschluß zur Wiederaufnahme faßte am Sonnabend abend auf Vorschlag der Abteilung Literatur einstimmig die Herbst-Mitgliederversammlung der Akademie.
Christa Wolf, die über lange Jahre selbst Objekt einer Stasi-Bespitzelung war, hatte 1990 mit ihrem Buch „Was bleibt“ den heftigsten Literaturstreit der letzten Jahre ausgelöst. Ihre eigene Stasi- Verstrickung als „IM Margarete“ von 1959 bis 1962 legte sie im Juni 1993 in dem Band „Akteneinsicht“ offen, ein Akt der Katharsis, nach dem Wolf nun erhobenen Hauptes in die Akademie zurückkehren kann.
Zusammen mit ihr wurde auch der Münchner Maler Rupprecht Geiger, seit 1970 Mitglied der West-Akademie, wieder aufgenommen. Er war im Zusammenhang der Auseinandersetzungen um die Vereinigung der beiden Berliner Akademien 1992 ausgetreten. Diese Vereinigung per Staatsvertrag war im letzten Jahr zu einer Zerreißprobe geraten, als verschiedene Künstler sich der Vereinigung mit der „Stasi- Schlupfbude“ (Sarah Kirsch) widersetzten. Walter Jens verbucht jetzt die Rückkehr Wolfs als Erfolg seiner Verständigungspolitik: „Das Haus der Freundlichkeit öffnet sich mehr und mehr.“
Auf die Rückkehr von Günter Grass in dieses Haus wird Jens aber weiter warten müssen. Grass, der früher einmal selbst Präsident der West-Akademie war und sie wegen deren mangelnder Solidarität mit dem iranischen Schriftsteller Salman Rushdie 1989 verlassen hatte, beklagte gegenüber dpa erneut die seiner Meinung nach zu große Zurückhaltung der Akademie bei verfolgten Schriftstellern in der ganzen Welt.
Zur angekündigten „Zwischenbilanz deutsche Einheit“ aus kulturpolitischer Sicht gab es nur wenige Wortmeldungen. Die tschechische Schriftstellerin Libuše Moniková berichtete, wie sich der Fall der Mauer und die „sanfte Revolution“ auch als Hemmnis für das Schreiben an dem Roman „Treibeis“ ausgewirkt haben. Der ostdeutsche Filmautor Wolfgang Kohlhaase, einst Partner von Konrad Wolf bei Filmen wie „Solo Sunny“, beklagte das Verschwinden der Filmindustrie im Osten – auch eine der Folgen der kulturellen Vereinigung.
Danach herrschte wieder Ruhe im Haus der Freundlichkeit. Jörg Lau
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