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Schwarz-Grün wildert im roten Revier

Gladbecker Betonköpfe bekommen die Chance zur Läuterung durch Opposition / Erstmals löst eine grün-schwarze Koalition im Ruhrgebiet die SPD ab  ■ Aus Gladbeck Walter Jakobs

An der Etagenklingel verrät nur ein schlichtes Schild, wer hier residiert: SPD. Das Hochhaus der Gladbecker Sparkasse mit dem SPD-Parteibüro im achten Stock überragt das danebenliegende Rathaus um Längen. Ein Höhenunterschied mit Symbolkraft: Dort unten, im Rathaus, tickte die Stadtpolitik jahrzehntelang im Takt einer unschlagbaren SPD, seit den 70er Jahren gelenkt vom Fraktionsvorsitzenden und Machtpolitiker Manfred Braun (66).

Bis zur Kommunalwahl am 16. Oktober ging alles in der am nördlichen Rand des Ruhrpotts gelegenen Stadt Gladbeck den gewohnten sozialdemokratischen Gang. Doch nun ist die absolute Mehrheit dahin! Minus zehn Prozent! Das hat die knapp 3.000 Genossen in der gut 80.000 Einwohner zählenden Stadt geschockt.

Am Montag abend ist die Stimmung besonders gereizt. Inzwischen steht fest, daß der Machterhalt auch durch eine Koalition nicht zu retten ist – aus Mangel an Partnern. Da sind Journalisten im Sparkassenturm unerwünscht. Knapp weist die neue SPD-Fraktionschefin Christa Bauer, die ihrem aus Altersgründen abgelösten Vorgänger Braun einst als Sekretärin diente, dem ungebetenen Gast die Tür. Ein Umgangsstil, der nahtlos an den des Vorgängers anknüpft. Bis zum 16. Oktober war Braun, der im Düsseldorfer Landtag ein politisch tristes Dasein als Hinterbänkler fristet, der ungekrönte Gladbecker König. Selbst Bürgermeister Wolfgang Röken, auch ein Strippenzieher von hohen Gnaden, wenn es um das eigene Fortkommen ging, stand in seinem Schatten. Inzwischen dämmert so manchem Sozialdemokraten, daß dieses Duo für das Wahldesaster maßgeblich Verantwortung trägt. In geradezu „absolutistischer Form“, so ein SPD-Insider aus der Stadtverwaltung, habe Braun, der im Kampf gegen die kommunale Neuordnung den Aufstieg schaffte, in Gladbeck Politik gemacht und sich in die Verwaltung eingemischt. Kaum einer pflegte im Rat einen rüderen Umgangsstil mit den Vertretern der Grünen als dieser klassische SPD- Betonkopf, der von seinem Arbeitgeber, dem Essener Energiegiganten RWE, für seine politische Tätigkeit freigestellt wurde. Mal verkündete der rote Pöbler, daß Grüne „stinken“ und „schlecht angezogen“ seien. Mal fauchte er den grünen Ratsherrn Mathias Strehlke an, er sei so dumm, „wie ein dickes Schwein hoch springen kann“. Gegen Rot-Grün wetterte Braun bis zuletzt, aber im Angesicht des drohenden Machtverlustes folgte ihm der Parteitag des Stadtverbandes letzte Woche nicht. Die Wende kam zu spät.

Zwar präsentierte die SPD mit dem Stadtdirektor Joachim Henneke (46) einen auch von den Grünen respektierten neuen Bürgermeisterkandidaten, doch gleichzeitig signalisierte die SPD-Fraktion „durch die Wahl von bekannten Betonköpfen in den Fraktionsvorstand“, so der grüne Fraktionssprecher Mario Hermann, daß „sie die Notwendigkeit zum Wandel nicht erkannt hat“. So rückten die Grünen am Ende trotz eines eindeutigen Wahlversprechens – „Wer Rot-Grün will, muß grün wählen“ – vom rot-grünen Pakt ab. „Wir mußten erkennen, daß die Sozialdemokraten ein rot-grünes Bündnis, das diesen Namen verdient, nicht wollten“, bilanziert Hermann die Gespräche.

Bei der entscheidenden Abstimmung votierte auf der grünen Mitgliederversammlung schließlich nur noch ein Grüner für die „rot-grüne Mogelpackung“ (Hermann). Die große Mehrheit entschied sich für eine Koalition mit den Christdemokraten und der Wählergemeinschaft „Bürger in Gladbeck“ (BiG).

Ein Sozi: Grüne stinken und sind schlecht angezogen

In diesem Bündnis herrscht nach den Worten des BiG-Sprechers Horst Dieter Böhle, der aus Gladbeck eine „heitere Stadt“ machen will, nicht nur „ein anderer Sound“, sondern es gibt auch inhaltliche Festlegungen, die die Grünen als „weitreichender“ bewerten als das, was mit der SPD ausgehandelt werden konnte. Etwa bei der Erhaltung von Jugendzentren, der Rücknahme einer Abfallsatzung, die Mülleinsparen nicht belohnt, in der Kultur- und Verkehrspolitik und im Energiebereich.

Gerade auf dem Feld der Energiepolitik hat der RWE-Lobbyist Braun tiefe Spuren hinterlassen. Gladbeck verfügt über ein dichtes Leitungsnetz für Fernwärme. Weite Teile der Stadt könnten damit günstig und ökologisch sinnvoll versorgt werden. Doch selbst in den neuen Häusern der städtischen Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft (GWG) direkt an den Fernwärmeleitungen wurden noch in den letzten Jahren in großem Umfang Gas- und Nachtstromheizungen installiert.

Lobbyist für die RWE

Sinn macht dieser energiepolitische Irrsinn allein für den Energiekonzern RWE, der über seine Tochtergesellschaft Rhenag in Gladbeck Strom und Gas einspeist. Und warum die städtische Wohnungsgesellschaft mitspielte, erschließt sich mit einem Blick in ihren Aufsichtsrat. Dort führt niemand anderes als der freigestellte RWE-Mitarbeiter und SPD-Multimandatsträger Braun den Vorsitz...

Es sind die überall im Revier unangefochtenen SPD-Mehrheitsstrukturen, die Typen wie Braun nach oben spülen. In Gladbeck, da ist sich der grüne Fraktionschef Hermann sicher, „kommt man mit der klassischen politischen Farbenlehre nicht weiter“. Immerhin wurde mit der schwarzen CDU „der Ersatz von Nachtspeicheröfen durch Fernwärme in städtischen und GWG-Bauten“ vereinbart und als Ziel die „Rekommunalisierung der Energieversorgung festgeschrieben“.

In dem 1910 errichteten und nach dem Krieg im gotischen Stil restaurierten Rathaus sitzt der Mann, auf dem die Hoffnungen der neuen Mehrheit ruhen. Eckhard Schwerhoff, seit 32 Jahren vornehmlich im städtischen Ordnungs- und Sozialamt tätig, soll für neuen Schwung sorgen. Der 51jährige ist Mitglied der CDU, gehört seit 25 Jahren dem DGB an und wurde 1991 vom Rat einstimmig zum Beigeordneten gewählt. Ab 1. Januar 1995 soll Schwerhoff als hauptamtlicher Bürgermeister die 1.300 Beschäftigte zählende Stadtverwaltung führen und die SPD- Herrschaft im Rathaus beenden. Der noch amtierende, von allen Fraktionen als kompetent und seriös geschätzte SPD-Stadtdirektor Henneke macht mit seinem angekündigten Rücktritt den Weg frei.

Gestern nachmittag stand die Abstimmung im Rat noch aus. Die Koalition von CDU, Grünen und BiG verfügt mit 26 Sitzen gegen 25 der SPD über nur eine Stimme Mehrheit. Schwerhoff traut sich zu, die „Aufbruchstimmung“ auch administrativ umzusetzen. Als unabhängig, humorvoll und kompetent beschreiben ihn selbst eingefleischte Sozialdemokraten in der Verwaltung, die deshalb dem Machtwechsel auch „sehr gelassen“ entgegensehen. „Die Kollegen im Haus wissen, daß für mich das Parteibuch keine Rolle spielt.“ Filz dagegen – auch schwarzer – kann der Bürgermeisterkandidat nicht leiden. Gegen den lokalen CDU-Filz in einer münsterländischen Gemeinde gründete Schwerhoff als junger CDU-Mann mit Erfolg eine freie Wählergemeinschaft und trat aus der Union aus. Erst in Gladbeck kehrte er in die Partei zurück. Im „sehr linken Spektrum der CDU“ fühlt er sich politisch heimisch.

Karrieristen haben die SPD von innen ruiniert

„Sehr links“ ist die Gladbecker CDU, die in der Nähe der katholischen Lambertikirche ihr Domizil hat, gewiß nicht. Aber der Sozialflügel war immerhin stark genug, um einen geharnischten Protestbrief Richtung Bonn wegen der geplanten Befristung der Arbeitslosenhilfe loszulassen. Zurück kam ein Standardbrief von Blüm. Für Schwerhoff, der in seiner Stadt mit einer Arbeitslosenrate von rund 14 Prozent zu kämpfen hat, belegt die Antwort „einen Mangel an Sensibilität“. Mit solcher Politik kann man in Gladbeck nicht gewinnen. 57 Prozent der Wähler gaben hier am 16. Oktober auf dem Bundestagswahlzettel der SPD ihre Zweitstimme. Gladbeck bleibt eine sozialdemokratische Hochburg – wenn es um Bonn geht. Mit nur 44,3 Prozent wurde allein die lokale Partei abgestraft, die, im Sparkassenturm über der Stadt thronend, glaubte, sich alles leisten zu können. Ruiniert von Karrieristen wie Braun und Röken – unter tätiger Mithilfe vieler Funktionäre und Mandatsträger. Sie ließen es zu, daß der Stadtverbandsvorsitzende Röken nach seinem gescheiterten Ausflug auf einen hochdotierten Managerposten beim Verkehrsverbund sich wieder in Gladbeck als Bürgermeister breitmachen und den schon benannten Nachfolger verdrängen konnte. Die Partei als Transmissionsriemen zur ausschließlichen Förderung des eigenen Aufstiegs und Wohlstands – das war in Gladbeck nicht immer so.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus befindet sich die „Mathias Jakobs Stadthalle“. Der Name erinnert an die andere Geschichte der Gladbecker Sozialdemokraten. Bis zur Machtergreifung der Nazis gehörte der SPD-Stadtverbandsvorsitzende Mathias Jakobs als Abgeordneter dem preußischen Landtag an. Im Juni 1933 trieben in die Nazis in das KZ Bourtanger Moor in Ostfriesland. Bei dem Zwangsmarsch wurde ihm nach der Schilderung eines Mitgefangenen eine „Dornenkrone“ auf das „Haupt gepreßt, daß sein Kopf blutete. Im Lager schlug ein SS-Oberführer dem fast ohnmächtigen Jakobs mit der Hundepeitsche ins Gesicht...“ 1934 kehrte der Sozialdemokrat in seine Heimatstadt zurück. Ein Jahr später starb er.

Nach der Befreiung durch die Alliierten gründete der ebenfalls aus einem KZ heimgekehrte Wilhelm Olejnik die von den Nazis zerschlagene SPD mit wenigen Getreuen neu und übernahm die SPD-Parteiführung in Gladbeck. Später zog er in den Düsseldorfer Landtag ein. Sich dieser Sozialdemokraten zu erinnern hilft manchem Genossen in Gladbeck, die Verzweiflung über die derzeitige Führungsriege zu mildern. Anderen treibt der Blick zurück erst recht die Schamröte ins Gesicht. „Sehr viele Sozialdemokraten“, weiß ein Genosse aus der Stadtverwaltung, „haben bei der Kommunalwahl ihre eigene Partei nicht mehr gewählt.“

Von innen war der Beton nicht mehr zu sprengen. Jetzt hoffen einige auf Läuterung durch Opposition.

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