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Wand und BodenPrivater Horror

■ Kunst in Berlin jetzt: Paul, Štrba, Linnenbrink

Die Dinge, auf die der Fotograf Manfred Paul blickt, sind ihm nur selten zugewandt. Aus der Untersicht aufgenommen sind die wollenen Strümpfe heruntergerollt, das bloße Bein ragt schief ins Schwarz des Bildes. Plastisch, doch unverbunden. Oder ein Wäscheklammerbeutel lugt nur knapp aus der Wandnische neben dem Fenster ins Freie. Paul ist nicht vorrangig an der Situation interessiert. Wenn die Dinge verschwinden, dann in Abstraktion. Dabei sind die Akte, Arrangements und Stilleben ein Spiel mit Licht, Schatten, Oberflächen. Der Gegenstand verschwimmt, indem er vor der Kamera ruht, die Unschärfe kommt mit der Zeit – ob bei Birnen oder Liebenden. Selbst den „Doppelakt“ dominiert der Faltenwurf des Lakens, das die inszenierte Umarmung um ein Vielfaches verschlungener ins Vage verlängert, während vom Rest Körper nur ein Torso übriggeblieben ist. Paul stilisiert, indem er mit Fragmenten arbeitet. Selbst nächtliche Streifzüge sind kaum von Neugierde geprägt, sondern dienen dazu, technische Finessen in vertraute Milieustimmungen aufzulösen: grobkörnig flackert das Rotlicht über die Gesichter, muß der hastige Blick auf zerrissene Stockings verwackeln. Schön dagegen sind Aufnahmen von Berliner Altbauten, deren triste Architektur im Gegenlicht balanciert. Und auch das (leider nur im Katalog gedruckte) Portrait von Ursula W. möchte in seiner depressiven Schwerfälligkeit am liebsten aus dem Bild treten.

„Der stille Blick“, bis 19.11., Di-Fr 12-18, Sa 11-14 Uhr, Galerie Bodo Niemann, Knesebeckstraße 30.

Zwischen tschechischer Moderne und Antonionis Blow-up- Dunkelkammer: Ein paar Dutzend Fotos, so groß fast wie Tafelbilder. Doch die Abzüge sind verwaschen und grau, fleckig von nachgedunkelter Entwicklerflüssigkeit und grob an die gekalkten Wände geheftet. Schweizer Lifestyle aus zwei Jahrzehnten in Judy Lybkes improvisierter Eigen + Art-Kargheit. Viel Madonnenhaftes, Schmerzensmuttergleiches, besonders Sonja. In gleißendem Sonnenlicht steht sie mit gefalteten Händen verlegen zwischen urzeitlichen Blättern und Stengeln. Zwei Jahre später wölbt Nachwuchs ihren Bauch. Linda dagegen wirft ihr langes schwarz gefärbtes Haar in den Nacken, begutachtet kritisch ihre Figur im Spiegel oder harrt mürrisch auf der Badewannenkante aus. Mehr MTV als Kirche. Samuel zuletzt trägt Streetwear und streichelt selbstvergessen an einer Siamkatze. Eine Mutter fotografiert – zur Erinnerung, nicht aber fürs Familienalbum. Die Bilder von Annelies Štrba sind durchaus heimelig und doch seltsam entrückt – wie aus einer Zwischenwelt, in der die Kinder sich nicht ans rettende Ufer der Adoleszenz absetzen konnten. Sonja ist nicht schüchtern, sondern hilflos im Foto gefangen. Fast scheint es, als wolle Štrba immer wieder festhalten, daß eigenes Fleisch und Blut nie ein anderes wird. Der mütterliche Blick gleicht dem von Vampiren. Und die Wohnblöcke, ob in Hiroshima oder Zeitz fotografiert, sehen wie Geburtshäuser aus. Großer privater Horror.

Bis 20.11., Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Auguststraße 26.

Streifen, immer nur Streifen. Auf zwei Ölbildern und vielleicht 30 gerahmten, zeichenblockgroßen Aquarellen hat Markus Linnenbrink die Feinheiten des Pinsels ausgetestet, Strich für Strich. Gleichzeitig macht er sich einen Jux mit der lädierten Modernität in seiner wenn nicht diskursschnellen, so doch farbfrischen Malerei. Dann spielt er mit einer Fülle von Andeutungen und Verweisen, die sich in Bildtiteln widerspiegeln wie „Böcklins Acker“ (feine olive Streifen wechseln nicht ganz symmetrisch mit erdfarbenen) und „Haribo“ (gekonnt in lakritzschwarz und erdbeerschaumrot unterteilt); oder „Gestreiftes Soft“, dessen weiche Pastelltöne im Stile einer Bettwäschegarnitur gehalten sind und womöglich mit der Ironie in den Konzept-Markisen von Daniel Buren zu tun haben. Dem Wunsch, eine Geschichte allein mit Farben zu erzählen kommen diese Bilder sehr nahe. Mal wecken sie in ihrer Bonbonhaftigkeit Kindheitswünsche, dann gleicht an anderer Stelle wie auf Autobahnen ein Grau dem anderen, bis ein schnelles Gelb sich dazwischenschiebt und vorüberzieht. Aus der Nähe sind alle Farben vor allem eines: satt. Fingerdick aufgetragen haftet an den Spuren ein stoischer Rhythmus, der „Colorado“ zu einer Art Bilder- Techno macht. Die mit leichter Hand komponierten Aquarelle dagegen wischen und mischen die Töne ineinander, als wäre jede Kombination ein glücklich geworfenes I-Ging.

Bis 19.11., Do/Fr 17.30-20, Sa 11-14 Uhr, Galerie Vincenz Sala, Brunnenstraße 44. Harald Fricke

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