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Rauher Lehrer heißt Erfahrung

Weil selbst George Kingston „Siege nicht kontrollieren“ kann, muß der DEB wieder auf den Gewinn des Deutschland-Cups verzichten  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Alles hat sich zugebenenermaßen nicht verändert bei der Eishockey-Nationalmannschaft, zum Beispiel hat man sich noch nicht wieder zu regelmäßigem Gewinnen entschließen können. Aber zumindest ein gewisser rhetorischer Schliff hat sich eingestellt, wie am Wochenende in Stuttgart nicht zu überhören war. Während es nämlich der gute Ludek Bukac (59), nun zwar als Trainer der tschechischen Auswahl, aber nach wie vor unverdrossen verdrossen mit seiner Lieblingserklärung probiert („Wir wissen, es ist nicht einfach“) brilliert sein Nachfolger beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB), der Kanadier George Kingston (55) mit einer wahren Metaphern-offense. Es zischeln also neuerdings listig die Schlangen oder wird der Schrank auf die Komplettheit seines Tassenbestandes überprüft.

Doch trotz aller verbalen Kunststückchen: „Nach zwei Niederlagen“, das hatte der seriöse Coke-Trinker bereits am Samstag mitbekommen, „ist der Coach nicht sonderlich glücklich.“ 0:1 gegen den B-Ligisten Slowakei, 1:2 gegen eine reichlich euphemistisch Team Canada geheißene College- Vertretung: „Wir müssen“, hat Kingston da erkannt, „unser Defensivspiel verbessern, unseren Aufbau und den Abschluß.“ Mithin also wenn nicht alles, so doch einiges.

Jedesmal war man überlegen, hat das Spiel dominiert ... und verloren. Warum? Weil im internationalen Eishockey jenes Team gewinnt, das besser verteidigt. Was nun die von Kingston gelobte Offensive betrifft: Die wurde zwar geschaffen, doch die Schußpositionen wurden – das war auch bei der Bozener WM im April so – nicht optimal erarbeitet, weil, speziell auch im Powerplay, nie alle fünfe optimal kooperierten. Da kommt „a lot of responsibility“ auf die Verteidiger zu, die künftig „im Mitteldrittel aktiv werden sollen“ (Kingston), statt sich bequem an der Linie aufzustellen. Da geht es weniger um Kreativität, die die Deutschen selten hatten (und die anderen auch nicht), als um geometrische Präzision.

„Jedes Team, das George trainiert“, hat Kanadas Coach Tom Renney wissen lassen, „ist vom taktischen Standpunkt aus bestens präpariert.“ Alles ist simpel: Überzahlsituationen schaffen, verhindern oder erfolgreich killen, wie die Experten das nennen. Das geht nur mehr im Teamwork. Und dessen Funktionieren ist für Kingston wie für andere Sterbliche „abhängig von den Spielern, die das individuell ausführen.“

In Stuttgart, bei des Trainers zweiter Inventarbesichtigung, haben das neben den Üblichen Rückkehrer wie Holzmann (33), Doucet (31), Hiemer (32) und Fischer (35) probieren dürfen, daneben zwei Neulinge, von denen einer, der Kasseler Verteidiger Alex Engel, auch schon aus der Pubertät raus ist (32). Langfristig kann man das dahinter zu vermutende Konzept da schwerlich nennen. Optimistisch auch nicht. Realistisch schon eher.

Gut möglich, daß der kanadische Pragmatiker die Alten zurückholt, weil die, wie man bei Holzmann gesehen hat, erstens passabel spielen und die Jungen zweitens nicht nur jetzt noch nicht besser sind, sondern es mutmaßlich auch nie werden. Außerdem wird ihm der Kumpel Ludek Bukac erzählt haben, wohin langfristige Konzepte führen. Also nimmt er, was da ist, wohl auch die diesmal zu Hause belassenen Verteidiger Mayr, Niederberger und Amann demnächst wieder, und hofft, daß er an die was rankriegt.

International, sagt er denen, muß man, anders als beim DEL- Standard, „60 Minuten konzentriert sein“ und dies insbesondere in den berüchtigten „Schlüsselsituationen.“ In der Offensive heißt das, wenn doch mal einer (Holzmann, Brandl) kreativ war, die Chance auch nutzen. „Tierisch verärgert“ war etwa der Kapitän Uli Hiemer über sich, als er gegen die schon prima eingespielten Slowaken kurz vor Schluß eine Gelegenheit nicht nutzte, „die man in einem Länderspiel nicht wieder kriegt“. Hegen, Oswald und andere schafften gegen Team Canada ähnliches, getroffen hat in den Gruppenspielen nur Holzmann, und auch das nützte nichts, weil die Torhüter Heiß und Merk zwar solide halten, aber nicht außergewöhnlich. Das sind alles Dinge, kleinere, größere, die sich so summieren, daß am Ende nichts rauskommt.

Aber gemach: „Ich habe“, hat Tom Renney etwaige Pessimisten getröstet, „mit dem Mann gearbeitet“, ihm zugearbeitet nämlich, als er im Mai Kanada nach langen Jahren erstmals wieder zum WM-Titel coachte: „George wird auch diesmal Erfolg haben.“ Weniger spielerische Extravaganz als taktische Disziplin hat da den Ausschlag gegeben, und daran arbeitet der extrem aufrecht daherkommende Mann auch nun wieder. Hart. Zwar kann auch er „Siege nicht kontrollieren“, doch verspricht er, zu tun, „was immer nötig ist“ und will dabei „auch Niederlagen akzeptieren, solange die Spieler bereit sind, daraus zu lernen.“ Sind sie, sagt Uli Hiemer, weil Coach Kingston sie richtig anfaßt, „nicht zuerst das Schlechte sieht“, sondern dankenswerterweise „das, was einer kann“.

Obacht: Da schaut einer genau hin, doch ist die WM schon in gut fünf Monaten, und vorher wird man grade mal eilig nach Kanada fliegen (im März) und dann in der finalen Phase noch fünfmal mit bereits endgültigem Kader probehalber die ersehnten Werte zu erreichen suchen. „Wir brauchen ein Team“, hat George Kingston gesagt, „wir brauchen Erfahrung.“ Und mit Blick auf den letzten Gruppenplatz statt des angepeilten ersten Cupsieges hat er die Hand an ihre Lieblingsstelle gelegt, ans Kinn, und noch etwas prononcierter als sonst deklamiert: „Manchmal ist Erfahrung ein rauher Lehrer.“ Woraus zweierlei folgen könnte: Hoffnung – bei den Rauhen bleibt bekanntlich häufig am meisten hängen – oder Fatalismus. Denn wenn man nach allerlei Schlägen die Erfahrung endlich hat, ist es meistens schon zu spät.

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