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„Recht auf Gegenschlag“

■ Scientology-Sprecherin will Verurteilung wegen Nötigung nicht auf sich sitzen lassen Von Hanne Hartung

Rein nachrichtlich gab der gestrige Berufungsprozeß im zehnten Stock des City-Nord Hochhauses „Claudius Petersen“ nicht viel her. Ein Urteil wurde noch nicht gesprochen, die Verhandlung auf den 17. November vertagt. Wohl aber konnte man sich mit den Nöten einer gewissen Gisela Hackenjos vertraut machen, die sogar überzeugend gewirkt hätte, wäre nicht bekannt, daß derlei Gebahren zur Strategie von Scientology gehören.

Im Autoradio auf dem Weg zum Juweliergeschäft ihres Ehemanns in Farmsen habe sie mit anhören müssen, wie die Bürgerschaftsabgeordnete Ursula Caberta bei „Klassik Radio“ über ihre „Gruppe“ sprach. Scientology sei keine Kirche und auch keine Religionsgemeinschaft, sondern eine kriminelle Organisation mit faschistoiden Strukturen.

Das habe sie „gewurmt“, erklärte Hackenjos dem Gericht, deshalb habe sie vom Büro ihres Mannes aus beim Sender angerufen und „mal was Positives sagen wollen“ über die Organisation, der sie seit zwölf Jahren angehört. Ohne ihren Namen zu nennen wurde, Hackenjos als Hörerin in die Sendung geschaltet. „Sie verbreiten unentwegt Lügen“, hielt sie Caberta vor, zudem habe sie sich mit Frau Hartwig zusammengetan, die „nachweislich eine kriminelle Frau“ sei. Sie meinte die Scientology-Kritikerin Renate Hartwig aus Pfaffenhofen.

Nun ist Hackenjos kein simples Mitglied, sondern Pressesprecherin bei Scientology. Ihre besondere Art der Pressearbeit bekam auch der Journalist Uwe B. zu spüren, den sie nach der Veröffentlichung eines kritischen Artikels anrief und drohte: „Ihre letzte Stunde hat geschlagen“. Auf die Nachfrage, wie das gemeint sei: „Das überlasse ich Ihrer Fantasie.“

Für beide Vorfälle, die sich im April und im Juli 1992 ereigneten, wurde die 49jährige bereits vor einem Jahr vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 9600 Mark verurteilt. Die gestern begonnene erneute Verhandlung vor dem Landgericht brachte keine neuen Fakten, diente wohl aber als Bühne, um die Kritikerinnen Caberta und Hartwig erneut zu diskreditieren. Rechtsanwalt Wilhelm Blümel, der für Scientology ein „Recht auf Gegenschlag“ reklamierte, las endlos Hartwig-Zitate vor, in denen sie Scientology mal mit der Stasi und mal mit der Gestapo verglich.

Nun war dies aber nicht Gegenstand des Verfahrens. Gegenstand war das Verhalten der Angeklagten, der man die harmlose Vorstadtehefrau sogar abgekauft hätte, hätte sie nicht auf die Frage nach ihrem Status mit tiefer Stimme gehaucht: „Ich bin OT, operierender Thetan. Das ist ein bestimmter Bewußtseinsstand, den ich erlangt habe.“

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