: ,Ich dachte, das ist für immer'
■ Seit zehn Jahren Tagesstätte für psychisch kranke ältere Menschen
Wenn die 70jährige Inge P.* erzählt, daß in der Nacht ihr toter Mann auf der Bettkante gesessen habe, dann wedeln die PflegerInnen nicht mit den Neuroleptika, sondern sagen: „Schön, daß Sie nicht sind, Frau P.“ Pragmatisch sind sie geworden, die MitarbeiterInnen der bisher einzigen Bremer „Tagesklinik für psychisch kranke ältere Menschen“ in der Gröpelinger Heerstraße. Zehn Jahre nach der Gründung der Klinik sehen sie es schon als großen Erfolg, daß Inge P. an der Parkinson-Gymnastik teilnimmt.
Das war nicht immer so: 1984, als die Tagesklinik gegründet wurde im Rahmen eines Modellprojekts der Bundesregierung, arbeitete man mit „allgemeinen Programmen, als könne man alle gesund machen“, erzählt Peter Kruckenberg, der Leiter der Tagesklinik. Heute akzeptiert man, daß manche Schäden nicht zu beheben sind: Rainer S.*, der nach jahrelangem Alkoholmißbrauch nicht mal mehr seinen Namen weiß, konnte man nicht wieder zur Erinnerung verhelfen, aber zu einer würdigeren Lösung als dem Eingeschlossenwerden im Keller, wenn die Frau zur Arbeit ging. Das Klinik-Team fand eine Nachbarin, die nach dem Mann schaut.
Die meisten PatientInnen auf den 19 Plätzen sind erst im Alter krank geworden. Häufig sind es Frauen, die nach dem Verlust des Lebenspartners nicht nur in Trauer, sondern in eine tiefe Depression verfallen, verstummen, nicht mehr aufstehen, nichts mehr essen, einfach nichts mehr wollen... Mit ausgetüftelten Geheimrezepten kann das Team allerdings nicht aufwarten. „Eigentlich machen wir hier gar nicht so dolle Wunderdinge, wir machen hier Alltag“, sagt der Krankenpfleger für Psychiatrie, Roland Geertz. Da lernen die PatientInnen das Umsteigen von Bus in Straßenbahn, fahren anschließend gemeinsam ins Café Sand. Da graben sechs Ältere auf der klinikeigenen Parzelle herum und lernen Gemeinschaft – im Gebiet des Parzellenvereins „Gute Gemeinschaft“. Und Natalie Schwarz läßt sich aufeinmal wieder anfassen. Dabei hat sie „nur“ bei der Gymnastikgruppe mitgemacht. Die 56jährige wird seit einem Schädelbasisbruch von inneren Stimmen beschimpft und hatte sich deswegen in die äußerste Ecke verkrochen.
Natalie Schwarz weiß die Tagesklinik sehr zu schätzen, sie war zuvor auch in der stationären Psychiatrie: „In der Klinik hat man immer zu spuren, da kann man sich nie zurückziehen. Und nachts schreien die anderen Patienten.“ Ganz gestaltet sich auch die Medikamentenvergabe in der Tagesklinik: Seit zwei Jahren bekommen die PatientInnen die Packungen samt Beipackzettel in die Hand. Seitdem gibt es große Diskussionen um die Nebenwirkungen. Seitdem hat sich die Tablettenbestellung der Tagesklinik halbiert.
Schwer ist es für viele, sich nach druchschnittlich drei bis vier Monaten von der Klinik auch wieder zu verabschieden: „Wie, ich dachte, das ist für immer“, heißt es dann oft. Doch die Tagesklinik hat einen Behandlungsauftrag und wird von den Krankenkassen bezahlt, nicht wie Tagesstätten von der Stadt Bremen. Noch schwerer fällt den PatientInnen, anschließend draußen in einer Tagesstätte für psychisch Kranke, wo vor allem Jüngere hingehen, oder in einer Altentagesstätte Anschluß zu finden. Das Tagesklinik-Team versucht, diese Häuser mit Go-ins zu unterwandern. Da hilft eine Klinikmitarbeiterin drei Strickbegeisterten, im Wichernhaus ein Strickkränzchen zu gründen. Eine andere begleitet zwei Skatspieler in die Altentagesstätte, damit sie es auf jeden Fall montags schaffen zu sagen „Ich brauche noch jemanden am Mittwoch fürs Skatspielen.“
Für die nächsten zehn Jahre wünscht sich die Tagesklinik nicht nur mehr Zusammenarbeit mit den sozialpsychiatrischen Diensten, sondern vor allem mehr Tageskliniken. Schließlich betreut man derzeit auch die Kranken aus Nord und Süd. Zwar will die Koalition die stationäre Versorgung dezentralisieren, also auch im Süden und Norden psychiatrische Rehabilitationshäuser mit angeschlossener Tagesklinik aufbauen – doch bislang ist offenbar noch nicht viel passiert. cis
Namen von der Redaktion geändert.
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