: „Tae-Kwon-Do ist Perfektion“
■ Tanja Lütges Meisterkampf ums Optimale Von Stefanie von Drathen
Ihre Augen fixieren einen Punkt in der Luft, blitzschnell hebt sie ihr Bein und trifft den imaginären Gegner am Kopf. Nur das Zischen ihrer Trainingshose (Dobok) ist zu hören. Sie dreht sich um – Handkantenschlag nach hinten. Dann springt sie mit einem Pandaedolyochagi (gedrehter Rückwärtsfußkick) nach vorne, um gleich nach der Landung zu fragen: „War das gut?“
Tanja Lütge ist Tae-Kwon-Do-Trainerin und hätte soeben drei Gegner k.o. geschlagen, würden diese existieren. Die siebenfache deutsche Meisterin trainiert gerade mit ihrem Freund und Trainer Octay Cakir. „Ich versuche immer besser zu werden“, sagt die 170 Zentimeter große Frau, die auch schon Europa- und Weltmeisterin im Hyong-Laufen war, „besonders mit links.“ Hyongs sind exakt vorgeschriebene Bewegungsabläufe, die einen Kampf mit verschiedenen Gegnern darstellen sollen.
Doch auch ihr Trainingseifer half Tanja bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Kiel vor vier Wochen nur wenig, wo die amtierende Weltmeisterin in den Internationalen Deutschen Formenmeisterschaften nur Sechste wurde. „Ich habe mich in der neunten Hyong verlaufen, was nicht mehr aufzuholen war“, wurde sie ihrem eigenen Credo „Tae-Kwon-Do ist Perfektion“ nicht gerecht.
„Vor zwölf Jahren habe ich angefangen. Einem Freund meiner Eltern gehörte in Eimsbüttel eine Sportschule“, erzählt die 28jährige, die heute ebendort Geschäftsführerin ist. Schon vier Jahre später machte die Hamburgerin ihren ersten Dan (Schwarzgurt) und stieg in die Meister-Klasse auf. „Bis zum Braungurt hat mir Hyong keinen Spaß gemacht, ich wollte immer nur kämpfen.“
Im April 1983 bekam sie unerwartet Gelegenheit dazu: Die gerade 17jährige frischgebackene Hamburger Meisterin ging mit einer Freundin und ihrem Hund an einem Sonntag abend spazieren, als zwei oder drei Männer den Hund ärgern wollten. Die Bitte aufzuhören, ignorierten diese. Ohne ein Wort zu sagen schlug ihr einer der Männer mit seiner Faust ins Gesicht. Tanja reagierte schnell. „Eher zufällig habe ich mit der Faust getroffen und hörte ein Knacken“, beschreibt sie nüchtern den Nasenbeinbruch des Belästigers. Schlimmer: „Meine Faust tat mir später weh.“ Seitdem ist sie nie wieder in einen Kampf verwickelt worden – außer auf den Vollkontakt-Turnieren. Auch in dieser Disziplin ist die Trägerin des dritten Schwarzgurts erfolgreich: Zwei Deutsche und einige Internationale Titel sind Beweis genug.
Den Schwerpunkt beim Tae-Kwon-Do legt sie halt auf die beiden ersten der drei Wortteile, denen jeweils eine eigene inhaltliche Bedeutung zukommt: Aus dem Koreanischen übersetzt, bedeutet Tae der „Fuß(technik)“, Kwon die „Faust(technik)“ und Do „geistiger Weg“. Letztere Komponente, die philosophische, trainiert Tanja im Gegensatz zu vielen anderen Aktiven nicht. Meditation sei nicht ihr „Ding“, sagt sie, die meint, daß geistige Entwicklung durch harte Körperschulung erfolge.
Selbstbewußter sei sie durch den Sport geworden. Als Cheftrainerin gibt sie in einer der erfolgreichsten Sportschulen Deutschlands jeden Tag für die etwa 150 Mitglieder Unterricht und verspricht: „Ich werde solange Trainerin bleiben, bis mein Körper aufgibt.“ Sie selbst trainiert täglich – außer am Donnerstag, denn der ist ihrem neuen Hobby gewidmet: dem Bowling. Das ganze Leben soll halt nicht nur aus Tae-Kwon-Do bestehen.
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