: Der Schimmel stinkt zum Himmel
Von der Idee zur Autogrammstunde ist es gar kein weiter Weg: Die Genese von Thea Dorns Uni-Krimi „Berliner Aufklärung“ entlarvte im Detail, fachkundig und mit viel Verständnis: ■ Emma Idegger
Mal ehrlich, haben Sie nicht auch schon mal mit dem Gedanken gespielt, ein Buch zu schreiben? Vielleicht nicht gerade ein Werk der hohen Poesie, schließlich will man sich beim ersten Mal nicht übernehmen, aber so ein kleines witziges Buch, das seinen LeserInnen endlich mal wieder Spaß macht? Überhaupt: Wenn Sie sich ernsthaft fragen, wann Sie zuletzt ein wirklich gutes Buch gelesen haben, dann fällt Ihnen so auf Anhieb eigentlich gar nichts ein. Warum also nicht, haben Sie sich gedacht, eine flotte Schreibe haben Sie ja, und immerhin haben Sie auch schon mal ein paar Artikel in einer renommierten Frankfurter Tageszeitung veröffentlicht. Ein Buch, das muß doch irgendwie zu schaffen sein, es fragt sich nur noch, über was.
Und eines Tages, Sie hängen gerade mal wieder mit Ihrer Freundin in irgend so einer Berliner Spelunke herum, fällt es Ihnen wie Schuppen von den Augen: Na klar, ein Uni-Krimi! Das ist Ihnen doch wie auf den Leib geschneidert! Viel zu lange schon kotzt Sie das Leben an der Berliner Uni an und viel zu lange schon haben Sie sich dort über ein paar saublöde Philosophieprofessoren aufgeregt. Muß doch mal gesagt werden, wie bescheuert dieser ganze Laden ist. Ihre Freundin ist schon Feuer und Flamme, und spätestens beim fünften Bier steht der Plot: Ganz wie in einem richtigen Krimi geht's gleich los mit einem Mord. Ihr ewiges Haß-Objekt an diesem Institut, Sie nennen ihn Dr. Rudolf Schneider, wurde um die Ecke gebracht.
„Es war kein schöner Mord. Aber ein echter.“ Na bitte, die ersten Zeilen wären schon gemacht, und alles weitere, hoffen Sie, ergibt sich nun von selbst. Irgendwie muß eben jetzt der Täter gefunden werden. Und das kann natürlich keiner besser als Sie selbst. Also erfinden Sie sich ein Alter ego namens Anja, die, als persönliche Freundin der Institutsdirektorin, der Sache auf den Grund geht. So weit, so gut. Doch was nun? Schließlich, das ist Ihnen klar, wird ein Krimi nicht allein dadurch spannend, daß man erst am Schluß erfährt, wer der Täter war. Aber verzagen Sie nicht gleich! Denken Sie nach!
Die Wohnung ist natürlich „abgefuckt“
Sie geben sich einen Ruck, und schon sehen Sie wieder Land. „Berliner Aufklärung“ soll Ihr Erstling heißen, na, da könnten Sie doch auch ein bißchen aus der Berliner Szene plaudern. Ihre Freundin empfiehlt Ihnen hierfür, aus Anja eine Lesbe zu machen, Sie selbst steuern noch den schwulen Ulf bei. Beide verfrachten Sie in eine Neuköllner Wohnung, die Sie natürlich „abgefuckt“ nennen, und schon bietet sich eine erste Szene an, über die sich gut drei Seiten schreiben läßt: eine WG-Küche ist verdreckt, daß der Schimmel bis zum Himmel stinkt. Und schon wird alles ganz unglaublich trashig!
Zugegeben, Sie selbst gehören ja nicht gerade zur Speerspitze der Berliner Szene. Aber, so trösten Sie sich zu Recht, als Schriftstellerin muß man ja nicht überall dabeigewesen sein. Dafür hat man Phantasie, und so einen Nachmittag im Schwulenbad etwa, das kriegen Sie schon hin. Endlich können Sie Ihrem Spott mal so richtig freien Lauf lassen. Männer nennen Sie notorisch lässig einfach „Jungs“, und von den „kahlgeschorenen Mädels“ wissen Sie natürlich längst, daß „bereits zehn kräftige geübte Finger ausreichten, um diese Brigitte-Lesben wieder in die Betten ihrer braven Jungs zurück zu treiben.“ Und wie pikant ist erst Ihre Entdeckung, daß der Schwulenhasser Prof. Maier-Abendroth heimlich – wie verlogen! – in Darkrooms verkehrt.
Nur manchmal, zu später Stunde, wenn Sie schon ein wenig müde vom Schreiben sind, fragen Sie sich, ob das außer Ihnen eigentlich noch jemand lustig findet. Auch hängt Ihnen Ihre penetrante Scharfzüngigkeit, die Ihre FreundInnen an Ihnen so schätzen, zuweilen schon selber zum Hals heraus. Doch solche Grübeleien wischen Sie schnell vom Tisch. So kurz vor der Zielgeraden wollen Sie doch nicht aufgeben!
Irgendwann erinnern Sie sich dann daran, daß das Ganze ja ein Uni-Krimi sein soll, also müssen Sie unbedingt noch ein paar Insider-Klatsch-Geschichten verbraten, wer mit wem ins Bett usw. Und schließlich muß ja auch noch der Täter gefaßt werden. Ach du liebe Güte, den hätten Sie beinahe vergessen! Endlich, nach drei Monaten, während derer Sie für Ihre FreundInnen wie vom Erdboden verschluckt waren, tauchen Sie triumphierend mit einem Vertrag in der Tasche wieder auf. Sehen Sie, die Mühe hat sich doch gelohnt: Im Lektorat des Rotbuch Verlags hat man begeistert in die Hände geklatscht und flugs beschlossen, Ihren Erstling als Bestseller zu vermarkten.
Seitdem sind Sie nicht mehr dieselbe. Seitdem hasten Sie von einer Lesung zur nächsten, verteilen Autogramme und heißen auf einmal, man fragt sich warum, Thea Dorn.
Thea Dorn: „Berliner Aufklärung“. Rotbuch-Krimi, 156 Seiten, 16,90 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen