: Der Traum vom Luftkreuz
Der Streit um den Großflughafen Berlin-Brandenburg wird sich nach der heutigen Entscheidung des Potsdamer Umweltministeriums verschärfen ■ Von Hannes Koch
Wenn der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck heute seine Stellungnahme abgibt, hat der zukünftige Großflughafen Berlin-Brandenburg International eine weitere Hürde genommen. Die Flughafen-Holding, Betreiberin der drei Berliner Airports, kann konkrete Pläne zur Verwirklichung ihres Traumes vom internationalen Luftkreuz nahe der Hauptstadt ausarbeiten. Obwohl mit München und Frankfurt bereits zwei Flughäfen in Deutschland denselben Anspruch erheben, sollen im Süden Berlins Tausende von Hektar Natur für Straßen, Startbahnen und Abfertigungsgebäude planiert werden. Sollte, wie viele erwarten, Platzeck sich für den Standort Sperenberg bei Luckenwalde entscheiden, fallen 22 Millionen Bäume der Kettensäge zum Opfer. Das brandenburgische Ministerium für Umweltschutz und Raumordnung beantwortet heute auf Antrag der Flughafen- Holding die Frage, an welchem der drei geprüften Standorte Sperenberg, Jüterbog und Schönefeld die ökologischen Eingriffe am ehesten zu verschmerzen sind.
Daß die Umwelt, ebenso wie die in der Umgebung des neuen Flugfeldes lebenden AnwohnerInnen, eher den kürzeren ziehen, hat die öffentliche Auseinandersetzung bereits gezeigt. Wirtschaftliche Argumente standen im Vordergrund. Aus diesem Grund hatte auch die „Nullvariante“ (der Flughafenbau findet nicht statt) beim Raumordnungsverfahren in Potsdam von Beginn an wenig Chancen. Aller Voraussicht nach – Äußerungen aus der brandenburgischen Landesregierung deuten darauf hin – wird Platzeck entweder Sperenberg oder Jüterbog empfehlen.
Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) will damit einen möglichst großen Brocken der zehn Milliarden Investitionskosten in die ärmlichen Landkreise holen. Arbeitsplätze locken, nach den Papieren der Flughafen-Holding könnten im nächsten Jahrtausend bis zu 230.000 Menschen direkt oder indirekt vom Füllhorn Fliegerei leben. Wirtschaftsforscher haben den tollkühnen Managern diesen Zahn aber schon gezogen: Mehr als 17.000 Arbeitsplätze bringe ein stadtferner Flughafen in der märkischen Heide nicht ein. Angesichts der Alternative zwischen dem 59 Kilometer südlich Berlins gelegenen Jüterbog und dem nur 46 Kilometer entfernten Sperenberg fällt die Entscheidung möglicherweise für letzteren Standort. Die Verkehrsanbindung ist nämlich billiger, ein in Zeiten leerer Kassen wichtiges Argument.
Doch weil die landesplanerische Stellungnahme zum Abschluß des Raumordnungsverfahrens rechtlich kaum bindend ist und nur Empfehlungscharakter hat, wird der politische Streit um den Standort erst jetzt richtig losgehen. Die Flughafen-Holding – Eigentümer sind die beiden Länder und der Bund – darf also ihre Rollfelder grundsätzlich auch bei Schönefeld planen. In jüngster Zeit entwickelt der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) Sympathien für Honeckers alten Staatsflughafen. „Der Ausgang ist offen, aber in der CDU gibt es starke Akzente für Schönefeld“, berichtet auch Volker Liepelt, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Bei den Christdemokraten greifen Bedenken um sich, ob die notorisch finanzschwache Bundesregierung Milliarden in die alten Militärgelände von Sperenberg oder Jüterbog investieren will, die sie eigentlich nicht aufbringen kann. Weil der Flugplatz in Schönefeld bereits existiert, stellt er im Vergleich zum kompletten Neubau die billigere Variante dar, auch im Hinblick auf die notwendige Verkehrserschließung. Bei Schönefeld sind Straßen, S-Bahnen und Fernbahngleise zum Teil schon vorhanden.
Bei der Standortfrage sind kürzlich jedoch auch heftige Turbulenzen innerhalb des Senats aufgetreten – für den Startbahn-Streit spielt wahrscheinlich nicht nur der Interessengegensatz zwischen Berlin und Brandenburg eine Rolle. Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) legt sich für Sperenberg ins Zeug, weshalb er bei seiner Kandidatur für den Aufsichtsrat der Flughafen-Holding am Widerstand Diepgens scheiterte. Eine Vorentscheidung für Schönefeld, so wird gemunkelt.
Der Wirtschaftssenator läßt sich nicht zuletzt von den Interessen einiger Unternehmer leiten, die in der Berliner Wirtschaft, der Hauspostille der Industrie- und Handelskammer, mehrmals verlautbarten, daß sie sich einen Flughafen mit 24-Stunden-Betrieb wünschten. Das genau ist jedoch in Schönefeld nicht der Fall und wird wohl auch in Zukunft nur schwer durchsetzbar sein. Wegen der benachbarten Wohnsiedlungen dürfen dort laute Flugzeuge zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens nicht starten oder landen. Ähnlich argumentiert auch die Flughafen- Holding: Von der bestechenden Idee, einen Super-Airport mit allem Luxus komplett neu in die Landschaft zu pflanzen, einmal abgesehen, könnte die Bilanz kräftig ins Trudeln geraten, wenn die astronomischen Investitionen sich nicht durch Nonstop-Flugbetrieb amortisieren.
Letztendlich nicht nur über das „Wo“, sondern auch das „Ob“ des Luftdrehkreuzes entscheiden jedoch andere. Es zeichnet sich schon ab, daß die Baumilliarden in den leeren öffentlichen Kassen nicht zu finden sind. Privatisierung ist angesagt. Investoren aus der Wirtschaft sollen ihr Scherflein beitragen und hinterher auch den Rahm abschöpfen. Das freilich können sie nur, wenn das Projekt Gewinn erwirtschaftet. Die großen, finanzstarken Bauunternehmen, Banken und Konzerne werden sich deshalb sorgfältig überlegen, ob es zutrifft, was Bündnis 90/ Die Grünen aus beiden Ländern auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Potsdam anmerkten: „Die Zeichen der Zeit stehen nicht auf wachsenden, sondern auf stagnierenden Flugverkehr. Der ICE der Bahn ist für alle Reisen unter 600 Kilometer eindeutig die bessere Alternative. 60 Prozent aller Flüge werden in absehbarer Zeit wegfallen.“ Da könnte es profitabler sein, die innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof zu schließen und Schönefeld maßvoll zu erweitern. Die Flughafenplaner haben durch den Beschluß des Potsdamer Umweltministeriums einen Etappensieg errungen, aber Berlin Brandenburg International ist noch lange nicht gebaut.
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