: Traum von einer neuen Rechtspartei
Eine Gruppe um den Ex-Generalbundesanwalt von Stahl will die FDP rechts von der CDU positionieren / Der Kreis der Befürworter reicht über den rechten Rand der FDP hinaus ■ Von Bernd Siegler
„Mit dem Papier hatten wir mehr Erfolg als mit unserem Bundestagswahlprogramm.“ Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl ist mit der Wirkung der „Berliner Positionen einer liberalen Erneuerung“ hochzufrieden, die er zusammen mit dem Publizisten Rainer Zitelmann und drei weiteren Berliner FDP-Rechtsaußen Ende Oktober veröffentlicht hat. Die Schmach der Entlassung nach dem Bad-Kleinen-Debakel scheint getilgt, sein nationalliberales Coming-out katapultierte den ehemals höchsten Ankläger der Republik wieder einmal in eine Talk- Show. „Jetzt muß man sehen, wer auf diesen Zug aufspringt“, mimt von Stahl Gelassenheit, nachdem die gesamte FDP-Spitze seine nationalliberalen Ideen verschmäht hat.
Beifall erhielt die FDP-Hauptstadtcrew, wen wundert's, von der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit. „Jetzt müssen die nationalliberalen Kräfte mutig rechtsliberale Pflöcke einschlagen“, schlägt die Rechtspostille vor. Es gelte nun, „Solidarität zu üben“. Angesprochen fühlte sich sogleich der Historiker Arnulf Baring, der zuvor schon den Rechtsruck in der Bundesrepublik für eine „Chimäre“ gehalten hatte. Der national denkende Baring nannte das Papier „prima“. Die FDP müsse sich rechts von der CDU positionieren. Noch ein halbes Jahr zuvor hielt Baring in einer Titelstory der Jungen Freiheit die FDP für „überflüssig“. Sie versage vor der gewaltigen Aufgabe, die neuen Fragen zu beantworten, „die aus dem historischen Umbruch seit 1989 herrühren“. Und: „Wir müssen, ähnlich wie nach 1945, einen neuen Staat zusammenbauen. Dies alles werden wir nur schaffen, wenn wir eine Art nationaler Schicksalsgemeinschaft zustande bringen.“
Die Diskussionen über den Staat als Schutz-, Schicksals- und Wertegemeinschaft haben seit 1989 längst die rechtsextremen und -konservativen Zirkel verlassen. Trotzdem sind die Protagonisten dieser Entwicklung nicht zufrieden. Roland Bubik, Chefideologe der Jungen Freiheit, sieht die Republik „nach links kippen“. Günther Rohrmoser, Sozialphilosoph und Chefdenker des Studienzentrums Weikersheim, das den Gedankenaustausch konservativer und rechtsextremer Kreise vorantreibt, fordert eine kraftvolle „rechte Mitte“. Rohrmoser, der die Unionsparteien für „hoffnungslos sozialdemokratisiert“ hält, rät der FDP, sich aus ihrem „nationalliberalen Erbe heraus zu erneuern“.
Überlegungen über neue Kräfte im Parteienspektrum stellt auch der Geschichtsrevisionist Ernst Nolte an. „Im Augenblick verdienen die rechtsradikalen Geistesströmungen eher Unterstützung als die linksradikalen“, verrät der Professor, der jüngst die Auschwitz-Leugner salonfähig machte. „Es sollte eine rechte, radikale, aber demokratische, also verfassungstreue Partei geben“, erzählt der 71jährige dem Spiegel. Nolte stellt sich eine Partei vor, gegründet von Gerhard Löwenthal und unterstützt von Manfred Brunner.
Wenn es um eine neue rechte Partei geht, dann schielen von den Rechtsextremen bis hin zu den Nationalliberalen nahezu alle nach Österreich. Dort leuchtet das „Modell Haider“. 22,6 Prozent hat der „Alpen-Jörgl“ bei den letzten Nationalratswahlen im Oktober eingefahren. 1998 will er mit seiner „Freiheitlichen Bewegung“ gar Bundeskanzler werden. „Haider will in Österreich eine neue Republik aufbauen. Auch in Deutschland ist eine Reform unseres Staates an Haupt und Gliedern notwendig“, betont der ehemalige bayerische FDP-Chef Manfred Brunner. Für Brunners rechtsliberalen „Bund Freier Bürger“ (BFB) tingelte Haider im Europawahlkampf durch Deutschland. Auch für den baden-württembergischen Rep-Fraktionschef Rolf Schlierer verlangt der Dauererfolg der FPÖ geradezu „nach einer Übertragung des Modells auf die bundesdeutsche Parteienlandschaft“. Dazu müsse es aber gelingen, „eine breite Plattform zu bilden, auf der sich Nationalliberale, Wertkonservative und Patrioten zusammenfinden“.
Haider selbst glaubt fest an den Erfolg einer „freiheitlichen“ Partei in Deutschland, denn „neben den beiden sozialistischen Parteien CDU und SPD“ fehle eine „wirkliche freiheitliche Alternative“. Was er unter „freiheitlich“ versteht, verdeutlicht sein Grundsatzreferent Andreas Mölzer: „Liberal im Sinne des Strebens nach nationaler Identität, nach einem eigenen Weg und der Verwirklichung des eigenen Volkstumes.“
In jüngster Vergangenheit begann Haiders Stern auch bei Teilen der FDP zu leuchten. So preschte im März 1992 der Bad Cannstadter FDP-Kreisvorsitzende Hans-Manfred Roth vor. Er lud Haider in den Kursaal der Stadt ein. Auf Intervention der Parteispitze wurde Haider wieder ausgeladen. Anfang September konnte dann Roth den Rechtspopulisten doch im noblen Kurhaus begrüßen. Haider brüstete sich, ihm lägen bereits rund 40 Einladungen von FDP-Kreis- und Landesverbänden vor. Innerparteilich geriet Roth unter Druck. Zumal er im April 1993 den Rep- Parteitag in Stuttgart besucht und sich anschließend „außerordentlich positiv“ beeindruckt gezeigt hatte von der Schönhuber-Partei. „Ich habe nichts vernommen, was mein liberales Ohr verletzt hat“, gestand Roth, der sich als „vaterländischen Politiker“ bezeichnet und für die „Förderung der deutschen Familien im Sinne einer Volkserhaltung“ stark macht. Im April dieses Jahres beschloß schließlich das FDP-Bundesschiedsgericht, daß Roth in der Partei bleiben darf, seine Ämter aber ein Jahr ruhen lassen muß.
Warum Roth aus der Partei ausschließen, wenn andere Ortsvereine offen mit Haider sympathisieren, Stresemann-Clubs und rechtsliberale Zirkel in Leipzig, Dresden und Hessen entstehen? Derweil haben sich bei den Berliner „Jungen Liberalen“ und in den FDP- Bezirken Spandau, Tempelhof und Neukölln längst die Nationalliberalen gesammelt. Im August dieses Jahres konnte der rechtsliberale FDP-Bezirk Spandau schließlich den prominenten Neuzugang Zitelmann vermelden.
Während die FDP-Spitze immer wieder gegen die Nationalliberalen intervenierte, diskutierten im Mai dieses Jahres in Koblenz Brunner, Harald Neubauer, Bundessprecher der „Deutschen Liga“, und Rep-Funktionär Klaus Zeitler zum Thema „Maastricht – wie weiter?“. Mit auf dem Podium der FDP-Europakandidat Wolfgang Rumpf. Zwischendurch lud die Thomas-Dehler-Stiftung in Nürnberg die neurechten Ideologen Pierre Krebs, Karl- Heinz Weißmann und Wolfgang Venohr ein. Auch der Schweizer Auschwitz-Leugner Arthur Vogt durfte bei der FDP-Stiftung seinen Geschichtsrevisionismus verbreiten.
Im August letzten Jahres füllte ein „Interview“ mit Generalbundesanwalt von Stahl eine ganze Seite der revisionistischen Hetzpostille Remer-Depesche. Dazu abgebildet das Faksimile eines Briefes von Stahl, verfaßt im Februar 1992 an seinen „lieben Cartellbruder Germar Rudolf“. Darin bittet Stahl den Chemiker um Verständnis, daß er sich „nicht in der Lage sehe, Dir bei der Förderung Deines Anliegens behiflich zu sein“. Rudolfs Anliegen: die Verbreitung seines Gutachtens, das den Holocaust leugnet und in der Revisionistenszene gefeiert wird wie seinerzeit der Report des amerikanischen Holocaust-Leugners Fred Leuchter.
Stahl dementierte, der Remer Depesche ein Interview gegeben zu haben. Auf die von ihm angekündigten juristischen Schritte wartet Otto Ernst Remer bis heute jedoch vergebens. Interessant ist zudem, daß sich „Cartellbruder“ Rudolf im Anhang seines Gutachtens bei einer Reihe von Personen für „die Unterstützung und das ermutigende Zusprechen“ bedankt – darunter auch bei Ernst Nolte und Rainer Zitelmann.
Bevor Zitelmann ab Mitte 1992 Cheflektor im Verlag Ullstein- Propyläen wird, enttarnte er in seinen Büchern Hitler als „Revolutionär“. Zusammen mit den Extremismusforschern Uwe Backes (Uni Bayreuth) und Eckhard Jesse (Uni Chemnitz-Zwickau) forciert er dann die „Historisierung des Nationalsozialismus“. Unter Zitelmanns Regie verlegt Ullstein schließlich nicht nur Noltes Werke, sondern auch Haiders Buch „Freiheit, die ich meine“.
Im Dezember 1993 wird Zitelmann dann verantwortlicher Chef der Wochenbeilage der Welt. Zusammen mit Heimo Schwilk, neuer Welt-Kulturchef, und Ulrich Schacht, neuer Chefreporter, sorgt er für Furore. Die strammrechte Truppe wettert gegen „Nischenkonservative“, die das „Doppeltrauma der Niederlagen von 1933 und 1968“ nicht überwunden hätten. Man fordert „das Wiederentstehen einer kraftvoll demokratischen Rechten“. 50 Redakteure bekunden öffentlich, sie hätten keine Lust, den Reps den Steigbügel zu halten. Doch Zitelmann hält dagegen. Er läßt sich in einer „Ehrenerklärung“ seine „politisch- moralische Integrität“ attestieren. Unterschrieben haben nicht nur Baring, Weißmann oder Unionsrechtsausleger wie Wilfried Böhm. Wolfgang Templin vom Bündnis 90 ist ebenso dabei wie Tilman Fichter, Referent der SPD-Parteischule, und die Extremismus-Forscher Backes und Jesse. Doch die Ehrenerklärung nützt nichts. Schwilk und Schacht müssen wieder zurück zur Welt am Sonntag, Zitelmann wird zum Redakteur für Zeitgeschichte degradiert.
Die Zusammensetzung der Unterschriften kommt nicht von ungefähr. Man kennt sich eben. Im „Veldensteiner Kreis“, initiiert von Backes, Jesse und Zitelmann, sitzt man zweimal im Jahr beisammen und will junge Wissenschaftler fördern. Man kennt sich aus der von dem ehemaligen Rep-Aktivisten Hans-Ulrich-Pieper organisierten Dienstagsgesprächen in Berlin. Zitelmann ist dort regelmäßiger Gast. Zusammen mit Rep- Aktivisten, Mitarbeitern der Jungen Freiheit und dem Pressesprecher des Innensenators lauschte man Referenten wie Jörg Haider, Manfred Brunner, Alexander von Stahl, Tilman Fichter und Gerhard Löwenthal. Die Polizei stuft die honorige Dienstagsrunde als „eine Auswahl von Kapital und Intelligenz der rechten Szene bzw. rechtskonservativen Parteien“ und damit als „schmissig-rechts bis rechtsradikal“ ein. Man kennt sich von Auftritten bei Leserkreisen der Jungen Freiheit, von deren „Sommeruniversität“ und von rechtskonservativen Gesprächsrunden. Gerhard Löwenthal, Heinrich Lummer und FPÖ- Funktionäre reisen als Referenten in Sachen Rechtskonservatismus und Rechtspartei durch die Lande.
Man kennt sich und geht gemeinsam die nächsten Schritte. Heimo Schwilk, Fallschirmjäger, Redakteur beim Rheinischen Merkur und jetzt wieder bei der Welt am Sonntag, initiiert Ende September den „Berliner Appell“, eine großformatige Anzeige mit der Überschrift „Wehret den Anfängen“. Die rund 200 Unterzeichner jammern darin über eine vermeintliche „Hexenjagd auf Konservative und demokratische Rechte“. Schwilk hat dafür einen Teil der damaligen „Ehrenerklärer“ mobilisiert. Dazu die sächsische Ministerriege Eggert, Vaatz und Heitmann, Sat.1-Programmchef Heinz- Klaus Mertes sowie Entwicklungsminister Carl Dietrich Spranger. Mit dem ehemaligen Berliner Polizeidirektor Manfred Kittlaus, dem FDP-Chef von Spandau, Wolfgang Mleczkowski, und Rainer Zitelmann sind drei von den fünf selbsternannten FDP-Erneuerern mit einer stattlichen Riege der übrigen Berliner FDP-Rechtsaußen von der Partie. Dieter Stein, Chefredakteur der Jungen Freiheit, hofft, daß diese „gemeinsame Erklärung der 89er“ in einer „bisher ungekannten geistigen Mobilisierung enden“ würde.
Als besondere „geistige Mobilisierung“ können die einen Monat später publizierten vier Seiten zur Neubestimmung der FDP von Zitelmann, von Stahl, Mleczkowski, Kittlaus und dem Bankdirektor Josewski allerdings nicht gelten. Aber die Crew hat sich damit erstmals aus der Deckung der geschlossenen Diskussionszirkel gewagt. Sie wollen die FDP als Partei der „Leistungsträger“ definieren, die sich gegen Sozial- und Ausländerkriminalität, gegen Ökohysterie und doppelte Staatsbürgerschaft ausspricht. Sie plädieren für eine „Kurskorrektur“ in der inneren Sicherheit, „dazu gehören auch die akustische Raumüberwachung und der wirksame Einsatz verdeckter Ermittler“. Im Einklang mit den Reps und der CSU fordern die Berliner Positionen ein „Europa der Vaterländer“ und propagieren einen „Abschied von Ideologien“, insbesondere vom „Multikulturalismus“ und dem „Feminismus“. Der „ganze linke Firlefanz“ führe doch „in den Abgrund“, tönt von Stahl. Auf dem FDP-Bundesparteitag in Gera soll, so Klaus Kinkel, ein „Wettstreit der Meinungen“ ausgetragen werden. Der FDP-Chef sieht das „Fundament der FDP bröckeln“ und fordert eine „schonungslose Bestandsaufnahme“. Genau dies klagen die Berliner Nationalliberalen ein.
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