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Fascho-Skins und andere nette Leute

Italienische Faschisten haben ein Netz von Wohnungs- und Arbeitsvermittlungen für Jugendliche nach London aufgebaut / Einige Außenstellen auch in Deutschland  ■ Von Ralf Sotscheck und Werner Raith

London/Rom (taz) – „Auf dem Schreibtisch der Londoner Wohnungsvermittlung stand eine Mussolini-Büste“, erzählt Peter Haase aus Erfurt, der im vergangenen Jahr sechs Monate in London verbracht hat. „Im Büro saßen ein paar italienische Skinheads herum. Die Agentur in Berlin hatte behauptet, man werde in London von netten Leuten betreut, die auch Deutsch sprechen würden. Davon konnte keine Rede sein.“

Haase war an „Meeting Point“ geraten, die größte Wohnungsvermittlung für AusländerInnen in der englischen Hauptstadt. „Meeting Point“ annonciert in ganz Europa. Rund 6.000 junge Leute wenden sich jedes Jahr an die Wohnungsvermittlung, die in der Londoner Innenstadt 20 Häuser mit insgesamt etwa 700 Betten angemietet hat. „Das sind die letzten Löcher“, sagt Peter Haase. „Es herrschten haarsträubende Zustände. Manche Leute haben wochenlang auf warmes Wasser gewartet.“ Billig ist die Übernachtung dennoch nicht: Pro Woche muß man 40 bis 70 Pfund anlegen – umgerechnet sind das bis zu 800 Mark im Monat, wobei die Sanitäranlagen mit den anderen HausbewohnerInnen geteilt werden müssen. „Der Hammer ist jedoch“, so Haase, „daß die Agentur von italienischen Nazis betrieben wird. Viele der Häuser sind mit faschistischen Slogans beschmiert.“

Eigentümer von „Meeting Point“ sind Roberto Fiore und Massimo Morsello. Beide sind Anfang der 80er Jahre nach Großbritannien geflohen – die Polizei hatte sie in Verbindung mit dem 1980 verübten rechtsterroristischen Anschlag auf den Bahnhof von Bologna verhören wollen, bei dem 85 Menschen ums Leben gekommen waren. 1982 verweigerte ein Londoner Gericht aus Mangel an Beweisen die Auslieferung. Drei Jahre später wurden Fiore und Massimo von einem italienischen Gericht in Abwesenheit zu neun und zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der Richter sah es als erwiesen an, daß beide den „Nuclei armati rivoluzionari“ (NAR) angehören, einer in den 60er Jahren gegründeten rechtsterroristischen Organisation, die von den Behörden für mehr als hundert Morde verantwortlich gemacht wird.

Seit die Revisionsinstanz die Urteile abgemildert hat, liegen die „Vergehen“ der beiden nun auch unterhalb der in den Auslieferungsverträgen gesetzten Mindestgrenze. Allerdings sind noch weitere Verfahren im Gange. Bis zum endgültigen Abschluß können Fiore und Massimo in London unbehelligt ihr Netzwerk von Agenturen ausbauen.

Dazu gehört heute neben „Meeting Point“ auch die Arbeitsvermittlung „Force 1“. „Dort muß man für 100 Mark Mitglied werden“, erzählt Haase. „Dafür vermitteln sie dann Vorstellungsgespräche. Eine Garantie gibt es jedoch nicht, das meiste ist ohnehin Schwarzarbeit ohne irgendwelche Absicherung.“ Verliert man den Job und gerät mit der Miete in Rückstand, lernt man die Skinheads kennen. „Wer nicht zahlen kann, wird gewaltsam auf die Straße gesetzt“, sagt Haase.

Er ist an „Meeting Point“ durch die „Gesellschaft für internationale Jugendkontakte“ (GIJK) vermittelt worden, die ihren Sitz in der Straße Unter den Linden in Berlin hatte. Dort ist längst das Telefon abgestellt. Für 130 Mark plus 84 britische Pfund offerierte die Gesellschaft die „Vermittlung von Vorstellungsgesprächen bei potentiellen Arbeitgebern in London, Vermittlung einer Unterkunft im Londoner Stadtzentrum, Geldüberweisungsservice, Postaufbewahrung, Vermittlung von Englischunterricht“. Voraussetzungen waren ein Mindestalter von 17 Jahren und die Bereitschaft, „mindestens vier Wochen engagiert zu arbeiten“.

In Italien ist „Marco Polo“ für die Vermittlung nach London zuständig – eine jener unzähligen Agenturen, die dort allenthalben blühen, weil die einschlägigen Gesetze überaus durchlässig sind und die Leiter auch bei krasser Fehlinformation und Zusammenarbeit mit unseriösen Firmen im Ausland kaum einmal zur Verantwortung gezogen werden können. Bernardo und Clara, zwei von „Marco Polo“ nach England „vermittelte“ Studenten, berichten jedenfalls, daß „so ziemlich nichts stimmte, was die uns gesagt hatten – mit Ausnahme der Tatsache, daß uns jemand am Zug erwartet, dem wir sofort hundert Pfund geben sollten. Seither haben wir den Kerl nicht mehr gesehen, obwohl er uns eine Telefonnummer und eine Adresse gegeben hatte. Seit einem halben Jahr gab es das Büro dort gar nicht mehr.“

Im französischen Konsulat in London sind im vergangenen Jahr etwa 50 Beschwerden über „Meeting Point“ eingegangen. Viele schweigen jedoch aus Angst, denn oftmals werden die Häuser und ihre Bewohner von Skinheads überwacht. Eine 19jährige Französin erzählt, daß ihre Briefe regelmäßig geöffnet worden seien. Außerdem hätten die Skinheads ständig rassistische Parolen gerufen und faschistische Lieder gesungen. Ein 25jähriger Franzose berichtet, daß sein Zimmer völlig verdreckt gewesen sei. Als er sich beschwerte, wies man ihm zwar ein besseres Zimmer zu, doch kurz danach kam der Hausbesitzer und drohte ihm mit einem Rechtsanwalt: „Meeting Point“ hatte gar kein Recht, das Zimmer zu vermieten. Einem anderen Franzosen wurden seine Habseligkeiten, darunter ein Paar teure Turnschuhe, aus dem Zimmer gestohlen. Am nächsten Tag entdeckte er die Schuhe an den Füßen eines italienischen Skinheads, der gekommen war, um ein kaputtes Fenster zu reparieren.

Die Herren Fiore und Marsello sind inzwischen recht zugeknöpft – bei telefonischen Anfragen, auch aus Italien, wollen sie vorher wissen, ob es sich um „einen Antrag auf Kontaktvermittlung oder um etwas anderes“ handle. Will man keine Kontaktvermittlung, liegt der Hörer schon wieder auf, bevor man sein Anliegen vorbringen kann. Skandale können sie gerade jetzt nicht brauchen. Ihre Anwälte, so munkeln die Eingeweihten auf den Gerichtskorridoren, verhandeln gerade diskret, ob die beiden nicht alsbald wieder in ihr Vaterland zurückkehren können, ohne dort gleich ins Kittchen einzuwandern. Schließlich seien da gewisse „Camerati“ an der Regierung, die eine Modifizierung verschiedener Gesetze vorbereiten. Demnach könnten auch Terroristen, sofern sie „nur“ der Unterstützung angeklagt sind, ihre Strafen sogar im bequemen Hausarrest absitzen. Das würde Fiore und Marsello die Weiterführung ihrer Geschäfte ermöglichen – von der anderen Seite, der Anbahnung des „Vermittlungsgeschäftes.“

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