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Heute muß sich der russische Verteidigungsminister Pawel Gratschow vor der Duma gegen Korruptionsvorwürfe rechtfertigen. Daß er tatsächlich korrupt ist, steht zwar fest – aber Jelzin will ihn trotzdem nicht gehen lassen Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Und in Pridnjestr wartet Lebed

„Was heißt reich?“ fragte der suspendierte stellvertretende Verteidigungsminister Matwej Burlakow. „Ich hab' mir eine Datscha gekauft, hab' einen Wagen, eine Wohnung, und was gibt's da noch? Ich habe keine Yacht, keine Villa und keine Auslandskonten.“ Dem ehemaligen Oberkommandierenden der Westtruppen in Deutschland blieben nach eigenen Aussagen am Ende seiner Dienstreise ganze 3.000 Dollar Barschaft. „Nun zählen Sie selbst, ist das viel oder wenig?“ kokettierte er.

Seine Angaben will ihm in Rußland keiner so recht glauben. Er gilt als Hauptnutznießer eines Schmugglernetzes gigantischen Ausmaßes. Heute soll Verteidigungsminister Pawel Gratschow vor dem russischen Parlament Rede und Antwort stehen. Auch er wurde tief in die Affäre hineingezogen. Beide, Burlakow und Gratschow, beteuern seit langem ihre Unschuld, stoßen damit jedoch, außer bei Präsident Jelzin, auf taube Ohren. Der Angriff hat natürlich auch politische Motive. Gratschow ist der Mehrheit der konservativen Parlamentarier seit je ein Dorn im Auge. Beim Putsch im August 91 und bei der Parlamentsrevolte im Herbst 93 eilte er dem Präsidenten zu Hilfe. Mittlerweile fordern auch Liberale den Rücktritt des Ministers. Jelzin hat ihn bisher geschützt, Burlakow wurde aus der Schußlinie geholt.

Schon 1992 mußte der Leiter der Kontrollverwaltung beim Präsidenten, Jurij Boldyrew, seinen Hut nehmen. Er hatte ermittelt, daß die Westgruppe unter Burlakow eine russisch-schweizerische Firma mit dem Verkauf von 82.000 Tonnen Diesel zu Niedrigstpreisen beauftragt hatte. Desgleichen sollen 17 Millionen Mark auf ausländische Konten verschoben worden sein. Insgesamt eruierte Boldyrew einen Verlust für die russische Staatskasse von 100 Millionen Mark – die Spitze eines Eisbergs.

Wirklich ins Gerede kam Gratschow nach dem Mordanschlag auf Dmitrij Cholodow, einen Journalisten der Boulevardzeitung Moskowskij Komsomolez Anfang Oktober. Cholodow wurde von einer Bombe zerfetzt, die explodierte, als er einen Koffer mit vermeintlich kompromittierenden Materialien öffnete. Der Zünder der Bombe ließ Rückschlüsse auf hochprofessionelle Attentäter zu. Noch kennt die Öffentlichkeit keine weiteren Ergebnisse. Vorwürfe der Zeitung, Gratschow stünde hinter dem Ganzen, beantwortete der Minister mit einer Verleumdungsklage. Jelzin war sofort zu Stelle, um seinem Minister Vertrauen zu bekunden.

Cholodow hatte den Ruf eines investigative journalist. Nicht alles hatte Hand und Fuß, was er schrieb. Doch daran, daß der Minister Anfang 92 die Fluggesellschaft Aviakoninfo mitgründete und in ihrem Aufsichtsrat sitzt, obwohl das Gesetz über Konkurrenz dergleichen untersagt, läßt sich nicht rütteln. Gratschow wird wohl kaum Drahtzieher des Anschlags sein. Allerdings zeigte sein zynisches Verhalten Tage nach dem Tod, daß nicht alles aus der Luft gegriffen sein konnte, was Cholodow behauptete. Die Affäre hat Gratschow schwer angeschlagen. Genau das wollten die Bombenleger wohl erreichen. Gratschow sieht in allem einen Komplott gegen sich, um die Armee ins Wanken zu bringen.

Die Beweisführung Cholodows ließ Zweifel am tatsächlichen Wissen und der Seriosität seiner Behauptungen aufkommen. So schrieb er über ein Geschäft der Westgruppe mit der Türkei, die 16.000 Panzer gekauft haben sollte. In Deutschland standen nur 4.000. In einem anderen Fall war von einem Hochzeitsgeschenk Burlakows an Gratschows Sohn die Rede: einem weißen Mercedes. Die Beweise beizubringen dürfte nicht allzu schwierig sein. Doch sie tauchten niemals auf. Die Gerüchte gären aber weiter.

Mit Sicherheit sind Gratschow und Burlakow tief in die Korruptionsgeschäfte verstrickt. Jelzin will seinen Verteidigungsminister trotz allem nicht opfern. Wohl nicht allein aus Dankbarkeit. Er befürchtet, die Kontrolle über die Armee zu verlieren, obwohl Gratschow in ihr keine hohe Reputation genießt und außer Burlakow alle seine Stellvertreter aus dem Amt geekelt hat, darunter Vertreter der „afghanischen Generalsgruppe“, die auch schon als mutmaßliche Drahtzieher des Attentats ins Gerede kamen. Sie stehen gegen die „europäische“ Generalität. Die Stimmung in der Armee ist äußerst angespannt. Verliert sie ihren Kopf, könnte sie spontan dazu neigen, General Alexander Lebed zu ihrer Frontfigur zu küren. Der Haudegen, der in der Pridnjestr- Republik (Transnistrien) die 14. Armee befehligt, hat seit längerem seinen Anspruch auf den Posten angemeldet. Er ist eine charismatische Figur, die sich nicht einmal scheute, offen Konfrontation mit ihren Vorgesetzten zu suchen. Er weigerte sich, Burlakow, den er einen Banditen nannte, noch in seiner Eigenschaft als stellvertretender Minister zur Inspektion bei der Truppe zu empfangen. Einmalig in der Geschichte der russischen Armee. Vorgestern forderte er in einem ausführlichen Zeitungsbeitrag, den Einfluß des Präsidenten auf die Armee zu beschneiden und die Rolle des Militärs wieder aufzuwerten. Für Jelzin wäre es kein Zuckerschlecken. Auch gegen den Willen der Duma wird Jelzin von seinem in der Verfassung verbrieften Recht Gebrauch machen und an Gratschow vorerst festhalten.

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