: Suche das große Geld – biete nichts
In der Europäischen Union lohnt sich der fiktive Schmuggel / Aus Schlachtvieh, das nach Polen exportiert wird, werden Zuchtrinder, um höhere Ausfuhrerstattungen zu kassieren ■ Aus Brüssel Alois Berger
Manchmal greifen die Brüsseler Eurofahnder auch ganz banale Zigarettenschmuggler auf – allerdings nur, wenn es mindestens um ein paar Lastwagenladungen geht. Für den Kleinkram sind die nationalen Behörden zuständig. Aber seit die Europäische Union viel modernere Betrugsvarianten anbietet, rutscht der altmodische Warenschmuggel in der Beliebtheitsskala bei Abzockern zunehmend nach unten. Warum sollte man sich auch bei Nacht und Nebel über die Grenzen stehlen, wenn es tagsüber viel einträglichere Geschäfte gibt?
Weit oben steht seit einiger Zeit der fiktive Schmuggel. Der Trick dabei ist, so zu tun, als ob man etwas Wertvolles über die Grenze brächte, während der Lastwagen in Wirklichkeit leer ist oder Plunder geladen hat – oder am besten gar nicht über die Grenze fährt.
Ein Beispiel: Im Sommer 1992 hat die Ausfuhr von reinrassigen Zuchtrindern aus Deutschland und den Niederlanden nach Polen spektakulär zugenommen, wie die Europäische Kommission in Brüssel, die mit der Überwachung der Agrarpolitik beauftragt ist, erstaunt registriert hat. Sie hat dann ein paar Fahnder nach Polen geschickt, denen gleich auffiel, daß die angeblich erstklassigen Rinder weder reinrassig noch zuchttauglich waren: Die Viehhändler hatten billiges Schlachtvieh exportiert und dafür von Brüssel ein paar Millionen Mark zuviel kassiert, denn die Europäische Union zahlt für landwirtschaftliche Ausfuhren hohe Zuschüsse.
Das Preisniveau innerhalb der EU ist viel höher als auf dem Weltmarkt. Ein Kilo Rindfleisch etwa kostet drei- bis viermal so viel wie in Polen oder sonstwo in der Welt. Damit die europäischen Bauern ihre Überschüsse dennoch loswerden können, zahlt die EU den Händlern die Differenz. Das gilt für alle Agrarprodukte. Selbst die Ausfuhr von Pralinen wird von Brüssel bezuschußt: Die Schokoladenhülle enthält schließlich Milch. Weil die „Ausfuhrerstattungen“ um so höher sind, je wertvoller die Fracht, gibt es für Exporteure von Zuchtrindern wesentlich mehr Geld als für einfaches Schlachtvieh.
Aber der Trick funtioniert auch andersherum. Die EU schützt ihre Bauern vor den niedrigen Weltmarktpreisen durch hohe Zölle. Bei Zucker aus Südamerika zum Beispiel wird der Stoff dadurch um einige hundert Prozent teurer. Es fällt jedoch kein Zoll an, wenn die Fracht die EU nur auf dem Transit durchquert.
Vor ein paar Monaten sollte eine Schiffsladung von 3.000 Tonnen Zucker, die in Rotterdam angekommen war, auf dem Landweg nach Kroatien und Slowenien transportiert werden. So stand es jedenfalls in den Frachtpapieren. Aber die Eurofahnder bekamen einen Tip aus der Süßwarenszene. Sie beschatteten die Lastwagen und begleiteten sie quer durch den Kontinent bis nach Italien. Als sie feststellten, daß die 3.000 Tonnen nicht nach Kroatien und Slowenien geliefert werden sollen, ließen sie die ganze Zucker-Connection in Holland, Frankreich und Italien festnehmen. Der Schaden hätte in diesem Fall drei Millionen Mark betragen. Dabei ist allerdings die regelwidrige Verwendung des Zuckers in Italien noch nicht mitgerechnet: Die Eurofahnder haben den Verdacht, daß mit dem Süßzeug italienischer Wein „verbessert“ werden sollte. Durch das Nachzuckern steigt der Alkoholgehalt – und dafür zahlt die EU höhere Subventionen.
Im letzten Jahr hat die Europäische Kommission Betrugs- und Schmuggelfälle aufgedeckt, die die EU rund 500 Millionen Mark gekostet hätten. Kenner der komplizierten Materie gehen davon aus, daß es sich dabei um die Spitze eines Eisbergs handelt: Tatsächlich wird die EU jedes Jahr um einige Milliarden geprellt. Der Grund liegt in einem Konstruktionsfehler der Zwölfer-Gemeinschaft. Für die Bekämpfung der Kriminalität sind die Mitgliedsländer zuständig, der EU wollen sie keine polizeilichen Rechte einräumen. Selbst die Fahnder aus Brüssel dürfen nur recherchieren. Das Recht, Schmuggelwaren zu beschlagnahmen und Verdächtige festzunehmen, haben allein die nationalen Behörden.
Doch nicht alle Regierungen sind darauf erpicht, den Schmutzfingern das Handwerk zu legen. Den Schaden hat schließlich die EU, während der Nutzen oft im eigenen Land bleibt – wenn etwa deutsche und niederländische Landwirte dadurch mehr Rinder nach Polen verkaufen können, oder wenn italienische Winzer günstig an Zucker kommen. Auch Geld aus dunklen Kanälen fließt in die Volkswirtschaft.
Nur in Deutschland, Italien und Portugal ist im Strafrecht der Tatbestand „Betrug gegen die EU“ vorgesehen. Die Kommission drängt seit langem vergeblich auf eine einheitliche Rechtspraxis in allen Mitgliedsstaaten. In manchen Ländern wird der Betrug wie ein Kavaliersdelikt behandelt, solange lediglich die Europäische Union geschädigt wird. Das griechische Parlament hat Anfang des Jahres eine Reihe von Politikern amnestiert, die wegen Subventionsbetrugs zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Einer von ihnen ist inzwischen zum Chef der staatlichen Bank von Attica befördert worden. Nur Zigarettenschmuggler müssen mit harten Strafen rechnen.
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