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Villa Kunterbunt

Das einzige Kinderliteraturhaus Deutschlands stand nur anderthalb Jahre nach der Eröffnung aus Geldmangel schon wieder vor der Schließung  ■ Volker Weidermann

Zwischen Baugruben, Bretterzäunen und schmetternden Preßlufthammern steht ein altes, weißes Haus. Ein kleines grünes Schild hängt über dem Eingang, darauf ein berittener, feuerspeiender Drache, der durch die Lüfte fliegt mit Hilfe eines Buches. Wir sind in der Weinmeisterstraße, in Berlin Mitte ganz in der Nähe vom Alexanderplatz und das strahlendweiße Haus ist LesArt, das einzige Kinderliteraturhaus in Deutschland und, zusammen mit einem Schwesterprojekt in Wien, das einzige Europas.

Heute vormittag ist eine Gruppe von bosnischen Flüchtlingskindern zu Besuch, die sonst in Schöneberg zusammen in eine Fördergruppe gehen, um deutsch zu lernen. Es geht um Formen – ein Kreis, ein Trapez, ein Siebzehneck, ein Unglaublichvieleck. Zunächst im Spiel lernt man's erkennen, verstehen, auszusprechen und zu kombinieren, dann findet man in einem dicken bunten Buch, daß ein Maler („Paul Klee? Lustiger Name!“) ganz viele verschiedene Formen zusammengemalt hat und dem Bild dann irgendeinen Namen gab, wie „Doppel“ oder so was Langweiliges. Dabei kann man viel lustigere Sachen auf den Bildern entdecken: einen Hahn, einen Fisch der fliegt, einen Drachen. Katja und Annette, die Leiterinnen hätten ja ganz gerne, daß die Kinder noch die Kirche entdeckten. „Ein Kirsche? Hm, lecker, ja jetzt seh ich sie auch“, meint Albona. Als er dann selbst ein Bild aus Formen malen soll, ist er gar nicht mehr so fröhlich. Niemand darf es ansehen, es ist einfach nicht so gut, wie das aus dem Buch und alles Zureden: „Das ist aber doch sehr schön“ und „Hier erkenne ich sofort einen hüpfenden Floh!“ hilft nichts, sein Bild ist ihm peinlich. Albonas Laune bessert sich erst wieder als sie unterm Dach des Lesehauses sind, im grauen Zimmer mit (gestrickten) Spinnweben (Stoff- )Spinnen, Drachen und Seeräubern.

Hier ist das Gespensterzimmer, mit vielen KissenKuschelZuhörEcken, und wenn es erst mal dunkel wird, dann ist's hier furchtbar gruselig. Hier gibt es noch eine kurze Geschichte, und dann ist der Vormittag auch schon vorbei, es wird eine Weile dauern, bis sie wieder zu einem Projektvormittag kommen können, denn die Kapazitäten von LesArt sind begrenzt.

Längst nicht alle Schulklassen, die gerne einen Projekttag oder gar eine ganze Projektwoche lang ins Literaturhaus kämen, können angenommen werden. Die Mittel sind knapp und drohen in Zukunft noch knapper zu werden (siehe Kasten). Über 8.000 Kinder, teilweise aus den entlegensten Berliner Bezirken, sind in den anderthalb Jahren, die LesArt besteht, hier gewesen und der feste Kreis von Kindern, die regelmäßig kommen, wird immer größer. Es ist nämlich nicht nur ein Haus für Schulklassen, sondern ein großer Teil des Programms ist für freie Gruppen konzipiert. Die literarischen Spaziergänge zum Beispiel, bei denen die Kinder die Originalschauplätze aus ihren Lieblingsbüchern erkunden: „Emil und die Detektive“ oder auch „Kai aus der Kiste“ aus Wolf Durians Buch. Einer dieser Spaziergänge rührte sie dann sogar in das oberste Stockwerk des Europacenters, in dem sie den Kultursenator überfallen mußten, um ihm endlich eine Zusage für den Erhalt von LesArt zu entlocken.

Weil das zugesagte Geld jedoch nicht reicht, ist es fraglich, ob das Programm in der ungeheuren Vielfalt, wie es in den anderthalb Jahren des Bestehens angeboten wurde, aufrechtzuerhalten ist. Fast jeden Tag volles Programm: Da sind die Video- und Theatergruppen, das Bilderbuchkino für Kinder ab fünf Jahren, die kreative Schreibwerkstatt, die langen Lesenächte im Gespensterzimmer und die Mädchengruppe „Stärker als ihr denkt“.

Zusätzlich organisiert Sabine Mähne, die Leiterin von LesArt zusammen mit ihren MitarbeiterInnen regelmäßig Ausstellungen zum Thema Kinder- und Jugendliteratur. Zur Zeit hängen im ganzen Haus Kinderbuchillustrationen verschiedenster Art und für nächstes Jahr ist eine Ausstellung „Darstellung des Dritten Reichs im Kinderbuch“ geplant.

Besonders am Herzen liegt Sabine Mähne auch die Erwachsenenfortbildung. Regelmäßig kommen LehrerInnen aus Berliner Bezirken in das Kinderbücherhaus in der Weinmeisterstraße, um zum Beispiel Möglichkeiten der „Projektarbeit im Literaturunterricht“ kennenzulernen. Ein großes Glück ist es also, daß Kai aus der Kiste und seine Bande dem Kultursenator die Mittel zur Rettung von LesArt abschwatzen konnte, vielleicht überlegt er sich ja bis zu den abschließenden Haushaltsverhandlungen noch, dem Haus so viel Geld zukommen zu lassen, wie es nötig wäre. LesArt hätte es wirklich verdient.

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