: Neue Musik, gut geschüttelt
■ Ein Geburtstagskonzert zu Ehren des Komponisten Alfred Schnittke, Meister aller Klassen der modernen Musik
In Engels an der Wolga kennt ihn jedes Kind – Alfred Schnittke, Sohn einer Rußlanddeutschen und eines aus Frankfurt am Main emigrierten Juden. Dort wurde er heute vor 60 Jahren in der „Autonomen Wolgadeutschen Sowjetrepublik“ geboren. Seine Familie hatte Glück. Sie wurde nicht, wie fast alle anderen Wolgadeutschen, nach Sibirien deportiert, und deshalb – noch einmal Glück – konnte sich in Moskau ein großes musikalisches Talent entwickeln. Heute ist Alfred Schnittke der in Rußland, aber auch in Westeuropa, einer der meistgespielten modernen Komponisten, auf jeden Fall aber der originellste. Wenn es jemanden gibt, der den Begriff „Neue Musik“ durcheinandergerüttelt hat, dann Schnittke.
Sein Konzept heißt „Polystilistik“, was nichts anderes heißt, als daß er Alte und Neue Musik, Kunst und Pop, Kirchenmusik und Jazz miteinander konfrontiert, übereinanderlegt, verfremdet, in tonale oder atonale Klänge übersetzt. Seinen Weg in die Collagentechnik, Elektroakustik und „Mikropolyphonie“ beschreibt er so: „Meine musikalische Enwicklung verlief über Klavierkonzertromantik, neoklassizistische Schulweisheit, elektrische Syntheseversuche, und ich kannte auch die unvermeidlichen Mannhaftigkeitsproben der seriellen Selbstverleugnung (Filmmusik). Doch dann beschloß ich, aus dem überfüllten Zug auszusteigen...“.
Der Ausstieg bescherte der Musikwelt einige spektakuläre Opern – „Leben mit einem Idioten“ wurde 1993 in Wuppertal uraufgeführt –, eine Fülle von Chor- und Kammermusik und sieben Sinfonien. Seit 1990 ist er Professor für Komposition an der Musikhochschule in Hamburg.
Heute, zu seinem 60. Geburtstag hat der Verein „Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjetunion“ einen ganzen Musikabend für ihn arrangiert. Die Interpreten sind das Rachmaninow-Quartett aus Soschi, Rußland, sowie zwei Berliner Künstler, der Pianist Gottfried Eberle und die Sopranistin Regine Gebhardt. Alfred Schnittke kann leider nicht dabeisein, er liegt schwerkrank in einem Hamburger Krankenhaus. Anita Kugler
19.30 Konzerthaus Berlin, Kammermusiksaal des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt
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