: Großes Risiko birgt große Gefahr
■ Res Bosshart und Jack Kurfeß über den dramatischen Zuschauerschwund auf Kampnagel
Krisenstimmung auf Kampnagel: Das Publikum bleibt weg. Premieren sind leer, teure Gastspiele wie von der Wooster Group, Susanne Linke oder der Needcompany nur mäßig gefüllt. Jetzt mußte nach knapp zwei Monaten die erste spektakuläre Programmstreichung erfolgen: Die neue Produktion des Theaterzentrums Akko kann nicht gezeigt werden. Till Briegleb und Dirk Knipphals sprachen mit den beiden Kampnagel-Leitern über die möglichen Gründe für die Startschwierigkeiten.
Wie hoch ist das Defizit, das bis jetzt entstanden ist?
Jack Kurfeß: Wir hatten eine Platzausnutzung von 60 Prozent angenommen, wovon wir wußten, daß das sehr hoch ist. Für den ersten Schwerpunkt „MaschinenStürme“ hatten wir somit erwartet, 300.000 Mark einzunehmen, und davon haben wir knapp ein Drittel erreicht. Das heißt, wir sind bei knapp 20 Prozent Auslastung und es fehlen etwas über 200.000 Mark. Und im November sieht es ähnlich aus.
Wie groß ist die Gefahr, daß demnächst eine Existenzkrise wie 1992 eintritt?
Kurfeß: Die Ausgangssituation hat sich gegenüber damals verbessert. Als Hans Man in't Veld und Wolfram Kremer 1990 angetreten sind, betrug der Zuschuß 3,8 Millionen Mark. Jetzt ist er 5,3 Millionen. Dadurch kann man so etwas eher auffangen. Es trifft natürlich trotzdem hart, aber nicht so bedrohlich, daß wir in Panik verfallen müßten.
Wenn aber jetzt mit dem Schwab-Gastspiel nicht die Wende eintritt, häufen sich bis zum Jahresende 500.000 Mark Miese an.
Kurfeß: Damit rechne ich im Moment.
Und das ist nicht existenzbedrohend?
Kurfeß: Nicht sofort. Nur wenn die Kulturbehörde uns keinen Vorgriff auf den nächsten Haushalt erlaubt, dann wird sie bedrohend. Wir haben jetzt ein Treffen im Januar verabredet, wo wir erklären müssen, wie wir uns den Abbau genau vorstellen. Aber sie haben, glaube ich, das Vertrauen, daß das zu schaffen ist. Wir haben es ja schließlich schon einmal geschafft.
Verlust des Kampnagel-Bonus?
Das Bedrohliche der jetzigen Situation scheint uns zu sein, daß offensichtlich der Kampnagel-Bonus weg ist. Das Publikum kommt nicht mehr aus prinzipieller Neugierde, sondern erst, wenn positive Rezensionen erscheinen. Woran liegt das?
Res Bosshart: Da gibt es verschiedene Punkte. Der wichtigste ist, daß wir im Eröffnungsmonat zuwenig geworben haben.
Aber Plakate haben wir überall gesehen. Das scheint uns kein Problem der Masse zu sein.
Kurfeß: Sicherlich war unser Setzen auf Themenschwerpunkte in einer Zeit, wo alles mit großen Namen wirbt, eine Überforderung des Publikums. Aber das war unser Konzept. Daß man mit Namen werben muß, ist zwar letztendlich banal, aber auf derartige Banalitäten muß man sich eben scheinbar einlassen.
Sind nicht eventuell diese Themenschwerpunkte der konzeptionelle Fehler?
Bosshart: Nein. Der Fehler war nur, die Themen so stark nach außen zu tragen. Außerdem haben wir Fehler im Programmheft mit zu anspruchsvollen Texten gemacht, aber man muß auch sehen, daß wir im Oktober die Folder für November gefertigt haben, und da hatten wir noch so gut wie überhaupt kein Feedback.
Diese thematische Konzeption kann sich doch nur jenen überhaupt vermitteln, die regelmäßig nach Kampnagel gehen. Die meisten Besucher kommen aber nur zu einzelnen Produktionen, die sie interessieren.
Es liegt nicht an der Qualität der Stücke
Bosshart: Deswegen tragen wir es nicht mehr so nach außen, aber für uns, die wir das Programm machen, sind diese Themen wichtige Anhaltspunkte.
Unter dem kommerziellen Gesichtspunkt, und der ist ja momentan der entscheidende, stellt sich schon die Frage, warum man eine funktionierende Struktur wie die Festivalreihen, die Hans Man in't Veld ja auch aus Not eingeführt hat, abschaffen mußte?
Bosshart: Das Problem damals war, daß es zwischen den Festivals tote Stellen gab, und die Produktionen, die dann liefen, hatten es sehr schwer. Unser Ziel war es, Konstanz hinzubekommen.
Kurfeß: Deswegen war unser Gedanke, wir binden uns nicht formal, sondern hangeln uns an Themenschwerpunkten durch, unter denen wir alle Sorten von Theater zeigen können. Jetzt würde ich auch sagen, daß es falsch war, allein auf diese Schwerpunkte zu setzen.
Auch das Schauspielhaus hat zu Beginn inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Nur da hat es geklappt. Viele Leute, die früher nach Kampnagel kamen, gehen heute lieber ins Schauspielhaus.
Bosshart: Das stimmt, aber das hat auch etwas mit der Struktur zu tun. Wir können nicht von Anfang an einen Inhalt behaupten. Wir müssen sehen, was interessiert die Gruppen, die hier arbeiten, und was wird an Gastspielen angeboten.
Aber es stellt sich doch die Frage, ob es nicht die Themen selbst sind, also eure inhaltlichen Aussagen, die die Leute abhalten. „MaschinenStürme“ oder „Voyeurismus“ sind für mich leere Hülsen.
Bosshart: Das ist ganz klar. Aber bei den ersten beiden Themenschwerpunkten ging es auch vordringlich darum, die Bandbreite zu zeigen, die wir in Zukunft hier präsentieren wollen. Deswegen mußte es ein bißchen offener gefaßt werden. Das wird sich verändern, das ist ganz klar.
Vielleicht vermittelt sich aber auch nicht richtig, daß hier ein neuer Besen kehrt.
Bosshart: Wie das Programm gemischt wird, das ist schon klar ein anderer Akzent. Auch daß wir viele Kopropduktionen – nicht nur mit lokalen, sondern auch mit internationalen Gruppen – machen, ist neu.
Aber warum bleibt dann das bisherige Kampnagel-Publikum weg?
Kurfeß: Wir hatten auch im letzten Jahr schwerste Einbrüche. Nur nicht am Anfang, aber im Winter sind wir hier auch ganz deprimiert auf dem Gelände herumgeschlichen. Im nachhinein stellt sich vieles ein wenig undramatischer dar.
Aber die jetzige Situation sieht für uns nicht mehr aus wie ein normaler Einbruch.
Kurfeß: Das wollen wir gar nicht bestreiten, aber ich behaupte: Es kann nicht an der Qualität der Produktionen liegen, die gezeigt werden, denn die sind, von Ausnahmen abgesehen, sehr gut. Die Leute, die da waren, bestätigen das einem ja auch immer wieder.
Ist weniger wirklich mehr?
Ihr macht im Dezember deutlich weniger Programm als vorher. Ist das die Notbremse?
Kurfeß: Es war immer klar, daß wir das, was wir im Oktober/November veranstaltet haben, nicht auf die Dauer durchhalten können. Wir können mit unserem Technikerstamm in der Regel nicht mehr als 45 Veranstaltungen pro Monat fahren. Das geht nur einmal zur Saisoneröffnung.
Und die Reduzierung von Aufführungen ist kein Krisenphänomen?
Kurfeß: Es ist ein Krisenszenario, weil wir das, was uns momentan ausfällt, wieder irgendwo reinholen müssen. Und da kann die Strategie nur sein, das Programm weiterhin gut aussehen zu lassen, und trotzdem zu sparen. Das war in der letzten Saison von Hans Man in't Veld übrigens nicht anders. Dieses Szenario wäre eben, wir nehmen die Halle 4 aus dem Programm heraus oder machen da nur noch Musik.
Wie ist denn die Stimmung auf dem Gelände? „Jetzt erst recht!“ oder eher resignativ?
Kurfeß: Jetzt-erst-recht-Stimmung muß man erst noch erzeugen. Im Moment herrscht hier schon mehr die Depression. Denn am Anfang haben alle so viel Energie bis ans Limit in die Sache gesteckt, und dann fehlte der Erfolg. Und das ist jetzt auch die Hauptaufgabe, das wieder aufzubauen. Großes Risiko birgt eben große Gefahr.
Bosshart: Ich spüre aber schon, daß das jetzt wieder nach vorne kippt, weil alle hier sehen, daß das Programm spannend ist.
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