: Der Kontinent bittet zur Kasse ...
■ ... und das setzt bei einigen Torys die allerältesten Ressentiments frei / Vize-Chef Nicholls nimmt seinen Hut
London (taz) – Der britische Premierminister John Major hatte die anglo-französischen Beziehungen beim Gipfeltreffen beider Regierungen am vergangenen Freitag noch als „die besten seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet. Unterdessen arbeitete der stellvertretende Tory-Vorsitzende Patrick Nicholls an einem Artikel für die Western Morning News in Plymouth, in dem er die Franzosen als „Nation von Kollaborateuren“ beschimpft, deren „Präsident von der Vichy-Regierung des Marschalls Pétain geehrt worden ist“. Ihr einziger Exportartikel nach Neuseeland seien „ein paar Froschmänner“ gewesen, die ein Greenpeace- Schiff versenkten. Und die französischen Weinbauern bezeichnet Nicholls als „unnachahmliche Regelverdreher“.
Die Deutschen kommen in Nicholls' Artikel auch nicht gut weg: „Ich mag einen Kontinent nicht“, schreibt er, „der von zwei Ländern dominiert wird, von denen eins den einzigartigen Beitrag geleistet hat, Europa in zwei Weltkriege zu stürzen, und das andere sich als unfähig erwiesen hat, einen Krieg zu gewinnen, es sei denn, die französische Fremdenlegion hat daran teilgenommen – und dann auch nur, weil die Offiziere Engländer und Amerikaner waren.“
Wenn EngländerInnen vom „Kontinent“ sprechen, meinen sie das europäische Festland. Die „britischen Inseln“ gehören nicht dazu. Bei Nicholls bleiben die kleineren EU-Länder nicht ungeschoren: „Sie beleidigen Großbritannien mit der Melodie ihrer klappernden Bettelnäpfe.“ Weiter heißt es: „Ich wünschte, ich wäre nicht in der Europäischen Union, aber Großbritannien ist nun mal in dem elenden Ding.“ Erstaunlicherweise beschließt Nicholls seinen Artikel mit der Aufforderung an die Abgeordneten, für das Gesetz zur Erhöhung des britischen EU-Beitrags zu stimmen, das am Montag in zweiter Lesung vor das Unterhaus kommt.
Damit konnte er seinen Hals jedoch nicht retten. Nachdem er von allen Tory-Flügeln einmütig verdammt worden war, reichte Nicholls am Mittwoch abend seinen Rücktritt aus dem Parteivorstand ein und bedauerte die Verlegenheit, in die er die Regierung gebracht habe. Die Eurogegner bei den Konservativen bezeichneten seinen Artikel als „xenophoben Mist“, der den Pro-Europäern in die Hände spiele, ja vielleicht sogar zu diesem Zweck geschrieben worden sei.
Der Streit um das EU-Finanzierungsgesetz nimmt immer mehr zu. Major hat die Abstimmung am kommenden Montag zum Vertrauensvotum erklärt und im Falle einer Niederlage seinen Rücktritt angekündigt. Am Mittwoch wies Schatzkanzler Kenneth Clarke die Spekulationen der Eurogegner zurück, wonach es dann trotzdem keine Neuwahlen geben würde, weil ein anderes Kabinettsmitglied Majors Job übernehmen könnte. Wenn eine „zynische Koalition aus Tory-Rebellen und Oppositionsabgeordneten am Montag gewinnt, ist der Sturz der Regierung die unausweichliche Konsequenz“, sagte Clarke. Darin sei sich das gesamte Kabinett einig. Die Unterhausmehrheit der Torys beträgt 13 Stimmen. Experten erwarten, daß Major die Abstimmung knapp gewinnen wird, da sich einige der elf kompromißlosen Eurogegner in der Fraktion der Stimme enthalten werden.
Clarke, der als aussichtsreichster Kandidat für die Major-Nachfolge gilt, hat sich den Zorn der Eurogegner zugezogen, weil er am Mittwoch abend die Schätzungen für Großbritanniens EU- Beitrag im Steuerjahr 1994/95 um 732 Millionen Pfund (rund 1,8 Milliarden Mark) anhob, um Spekulationen bei der Debatte am Montag vorzubeugen, wie er sagte. Noch vor einer Woche hatte er behauptet, nur ein Idiot würde an seinen Zahlen zweifeln. Verschiedene Tory-Hinterbänkler bezeichneten Clarke gestern denn auch als „verlogenen Bastard“. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen