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Talente und Platzhirsche

■ Im dritten „Hamburger Jahrbuch für Literatur“ sind die jungen Autoren interessanter als die arrivierten, entdeckte Dirk Knipphals

Zuerst ein Blick ins Autorenverzeichnis. Ingvar Ambjørnsen steht drin, wie nett; Michael Batz, der ehemalige Kampnagel-Dramaturg auch, interessant; aber da: Peggy Parnass, Wolf Biermann, Fritz J. Raddatz, mmh; was, Heiner Müller? Der ist doch gar kein Hamburger. Ach so, sein kleines Herzstück wurde nur als Motto zitiert, nun ja...

Auf diese Weise hangelt sich der interessierte Leser durch einen Wald von Namen - beisammen im dritten Hamburger Jahrbuch für Literatur, der aufgrund seiner Form und seines Gewichts auch Hamburger Ziegel genannt wird. Es finden sich die Motoren der Hamburger Literaturszene und die Betriebsnudeln, die Bekannten und die Talente, die Arrivierten und eine Handvoll Newcomer, deren Geburtsdaten sich inzwischen hart an die 70er Jahre heranbewegt haben.

Einige finden sich natürlich auch nicht. Siegfried Lenz etwa fehlt oder Peter Rühmkorf, und aus der schmucken Garde junger Hamburger Krimischreiber ist allein Frank Göhre vertreten. Insgesamt haben auf den 487 Seiten des im Auftrag der Kulturbehörde von Jürgen Abel, Robert Galitz und Wolfgang Schömel herausgegebenen Bandes 51 Autoren Platz (Heiner Müller als Berliner nicht gerechnet). Ein weites Reich für Entdeckungen ist hier also zwischen die zwei grünen Buchdeckel gepreßt.

Läßt man die Texte Revue passieren, fällt vor allem eines auf: Die der jungen Autoren sind fast durchweg interessanter als die der arrivierten. Das mag daran liegen, daß letztere nur Nebenarbeiten abgaben, während erstere, die Gunst der Stunde witternd, sich voll ins Zeug legten. Vielleicht kündigt sich aber auch innerhalb der Hamburger Szene kraftvoll der Nachwuchs an. Das wird zu beobachten sein.

In der Rubrik „Elbe & Flut“ kommt es zu einem direkten Aufeinandertreffen zwischen Talent und Platzhirsch. Auf den 1965 geborenen Mirko Bonné folgt Wolf Biermann. Der Zwischentitel „Elbe & Flut“ ist übrigens einem Prosagedicht von Frederike Frei entnommen (Sie wissen schon: nicht „Ebbe und Flut“, sondern „Elbe & Flut“, das nennt man Lyrik). Die dort versammelten Texte drehen sich um das Leben in Hamburg. Was also fällt Wolf Biermann zu unserer Hansestadt ein? Zunächst mal der Titel: Hamburg, nicht eben originell. Und die erste Strophe lautet:

„Das abgeblaute Abendlicht fault in den Regenpfützen / Die Speicherstadt steht bis zum Halse in der Dunkelheit / Fischköpfe dümpeln unter nachgemachten Schiffermützen / Der Michel träumt von Störtebecker in der Hansezeit.“

Wacker gereimt. Jedoch: „Speicherstadt“, „Fischköpfe“, „Schiffermützen“, „Michel“ – Hamburg wird eher markiert als beschrieben, eher beschworen als durch das Gedicht erfahrbar gemacht. Anders Mirko Bonné in seiner Zweiten Dulsberger Elegie. Zwar ist der Titel anmaßend (allerdings kann er nicht ernst gemeint sein, so weit oben stehen Rilkes Duineser Elegien), aber Bonné gelingt es, schlaglichtartig Erfahrungen gegenwärtigen großstädtischen Lebens einzufangen. Seine letzte Strophe:

„Und die Stadt spricht. / Die Straße zwingt dir ein Gespräch auf über die Zeit, / Und für Minuten ist das Mietshaus gegenüber / Ein Herr mit hocherhobener Orange.“

Die Strophe holt den Leser mit einer nachvollziehbaren Alltagserfahrung ab, um dann in ein hermetisches Bild wegzudriften. Da ist Bewegung drin. Hier wird jedenfalls versucht, eine lyrische Stimme auf heute Erfahrbares zu beziehen, während Biermann nur das wiedergibt, was über Hamburg schon gewußt wird.

Durchweg interessant sind die abgedruckten Arbeiten der letztjährigen Gewinner des Förderpreises für Literatur. Suzanne Latours Erzählung Die polnische Braut nimmt, wenngleich etwas stilunsicher, durch ihre vermeintlich oberflächliche Leichtigkeit ein, die durch das untergründige Geschehen konterkariert wird. Adrijana Bohocki gibt in den spröden Episoden ihrer Temerin-Geschichten genaue Auskunft über das frühere Leben in ihrer ehemaligen Heimat Jugoslawien. Marc Wortmann und Iven Fritsche wirken dagegen etwas zu verspielt. In den Texten der Preisträger schimmert Literatur zwischen einem genauen Forschen oder tentativem, ausprobierenden Sprechen und einem Sichverstecken hinter Konstrukten.

So gibt es viel zu erzählen über den diesjährigen Hamburger Ziegel. Wobei sein Höhepunkt noch gar nicht genannt wurde, denn er hat nur mittelbar mit Literatur zu tun. Um so besser, daß es, sozusagen als Zugabe, abgedruckt wurde: das ellenlange Gespräch, das der vor kurzem verstorbene Filmjournalist Wolf Donner mit Peter Greenaway führte. Donner schließt es mit dem Satz: „Ganz herzlichen Dank, Peter Greenaway.“ So überschwenglich braucht man den Herausgebern des Ziegels nicht zu danken. Aber reinblicken sollte man in den Band schon.

„Hamburger Ziegel. Jahrbuch für Literatur III 1994/95“, hrsg. von Jürgen Abel u.a., Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1994, 28 Mark

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